/ 21.04.2016
Hendrik Wallat
Fundamente der Subversion. Über die Grundlagen materialistischer Herrschaftskritik
Münster: Unrast 2015; 341 S.; 19,80 €; ISBN 978-3-89771-586-8Materialistische Herrschaftskritik – was nach verstaubten, marxistisch durchtränkten Hochschulseminaren der 1970er‑Jahre klingt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als durchaus aktuelles Anliegen. Hendrik Wallat gelingt mit seiner erhellenden Darstellung ein spannender Brückenschlag zwischen komplexer Theorie und Empirie, der zentrale Begriffe wie Ausbeutung oder Ideologie ebenso erschließt wie die Lebens‑ und Leidenssituationen unterdrückter Bevölkerungsteile: Obschon der Mensch als Vernunftwesen zur qualifizierten Freiheit fähig ist, verstrickt er sich in immer tiefergreifende Abhängigkeiten. Der „zentralen Frage nach der Freiheit“ steht dabei das unerbittliche „Primat des Materiellen“ (38) gegenüber. Der Mensch, so die Annahme des historisch‑dialektischen Materialismus, wird durch die vorgefundenen politischen, sozialen und ökonomischen Lebensverhältnisse geformt. Pierre Bourdieu etwa hat diese tiefgreifende Einflussnahme, diese Formung individuellen Seins, in seinem Konzept des Habitus aufgegriffen. Solcherart vereinnahmt ist alles menschliche Sein Gegenstand materialistischer Kritik: „Die Gesellschaft ist kein Ding, sondern ein (verselbstständigtes) Verhältnis von Vermittlungen, das nicht jenseits der Individuen und der Natur für sich existiert, sondern durch und über diese hinweg sich reproduziert.“ (61 f.) Je umfangreicher und subtiler es die „Staatsgewalt“ (102) nun versteht, diese Vermittlungsverhältnisse zu steuern, desto repressiver erweise sich deren Machtausübung. Eine besonders avancierte Form dieser Machtausübung findet sich im post‑faschistischen Kapitalismus, der es – wie bereits Michel Foucault analysiert hat – geschafft habe, den Subjekten als intrinsisch angelegte Form der Selbstoptimierung zu erscheinen. Angesichts dieser und ähnlicher Gegenwartsdiagnosen ist das von Wallat beschriebene Ziel materialistischer Herrschaftskritik nur folgerichtig: „Herrschaftskritik ist kein integrierbarer sog. normativer Diskurs, sondern ein durch und durch negatives Geschäft, das keinen Frieden mit der herrschenden (Un‑)Ordnung schließt.“ Aus diesem (selbst‑)aufklärerischen Impetus ist sie ebenso unabschließbar wie „anarchistisch“ (316), allzumal sie auf Letztbegründungen und ideologische Schließungen zu verzichten versucht. Darin liegt, so Wallat, ihr emanzipatorischer Anspruch, dessen es gerade in Zeiten neoliberaler Hegemonie und demokratischer Auflösungserscheinungen mehr bedürfe denn je. Alles in allem: ein detailreiches, mitunter anstrengendes, aber auch wichtiges Buch.
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Rubrizierung: 5.42 | 5.41 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Hendrik Wallat: Fundamente der Subversion. Münster: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39619-fundamente-der-subversion_48000, veröffentlicht am 21.04.2016. Buch-Nr.: 48000 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA