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/ 11.06.2013
Mihran Dabag / Antje Kapust / Bernhard Waldenfels (Hrsg.)

Gewalt. Strukturen, Formen, Repräsentationen

München: Wilhelm Fink Verlag 2000 (Schriftenreihe: Genozid und Gedächtnis); 357 S.; brosch., 68,- DM; ISBN 3-7705-3411-5
Das Phänomen der Gewalt gehört gewiss zu jenen Tatbeständen, die sich einer strikten begrifflichen Fixierung (dauerhaft) entziehen. Zwar wird in der Politikwissenschaft Gewalt vielfach mit Bezug auf Legitimität/Loyalität erörtert - sei es in der Unterscheidung von gerechtfertigter/nicht-gerechtfertigter Gewalt, sei es unter der empirischen Perspektive, ob und wann Gewalteinsatz Folgebereitschaft auslösen kann - doch spätestens bei der Frage der Zurechenbarkeit von Gewalt (nur auf Personen oder auch auf Strukturen beziehungsweise Systeme?) besteht in der Disziplin keine Einigkeit mehr. Diese (begrifflichen) Entscheidungsprobleme verweisen - wie der Herausgeber betont - auf die spezifischen "Aporien der Gewalt" (9 ff.): Sie erscheint ebenso als atavistisches Element einer Vorgeschichte ("Barbarei") wie als kulturelles Phänomen (z. B. Revolutionen), sie äußert sich ebenso in der brachialen Form direkter physischer Verletzung wie im Medium von Symbolisierungen (etwa als rassistischer Diskurs). Die Beiträge des Bandes unternehmen aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven - vertreten sind Philosophie, Politische Theorie, Psychoanalyse, Geschichts- und Literaturwissenschaft - Annäherungen an die komplexen Formen von Gewalt. Gerade dieses Spektrum von Sichtweisen ist sehr lehrreich, weil es auf fast verstörende Weise die stete Präsenz von Gewalt zeigt. Der Band beruht auf einer vom Institut für Diaspora- und Genozidforschung und dem Bochum-Wuppertaler Graduiertenkolleg "Phänomenologie und Hermeneutik" 1998 in Bochum veranstalteten Tagung. Inhalt: Vernunft und Gewalt: Bernhard Waldenfels: Aporien der Gewalt (9-24); David Wood: Die Philosophie der Gewalt. Die Gewalt der Philosophie (25-54); Alfred Hirsch: Notwendige und unvermeidliche Gewalt? Zur Rechtfertigung von Gewalt im philosophischen Denken der Moderne (55-80); Jens Halfwassen: Das Böse in Schellings Freiheitsschrift und in der Moderne (81-96). Gewalt und Konsens in der Politik: Jacques Rancière: Konsens, Dissens, Gewalt (97-112); Tobias Nikolaus Klass: Die Geburt der polis aus dem Geist des Krieges: Rancières Polemologie und Nietzsches Polemomanie (113-129); Kurt Röttgers: Philosophie und Politik im Angesicht von Gewalt (130-138); Hermann Lübbe: Religion und Politik nach der Aufklärung (139-156). Gewalt und Vernichtung: Hans Mommsen: Barbarei und Genozid (157-169); Mihran Dabag: Gewalt und Genozid. Annäherungen und Distanzierungen (170-186); Moshe Zimmermann: Die Kette der Gewalt (187-198). Militärische Gewalt und Krieg: Antje Kapust: Zivilisierte Grausamkeit: Feindschaft und Vernichtung (199-220); Ulrich Böckling: Der Stachel des Befehls. Mechanismen militärischer Gehorsamsproduktion (221-236); Medardus Brehl: "Das Wort schon stockt mir vor Grauen". Krieg, Gewalt und Sprache im Werk August Stramms (237-259). Verletzungen und Trauma: Kristin Platt: Historische und traumatische Situation. Zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Extremtraumatisierungen durch kollektive Gewalt und Genozid (260-278); Pascal Delhom: Verletzungen (279-296); Krikor Beledian: Die Katastrophe und die Erfahrung sprachlicher Grenzen in der armenischsprachigen Literatur (297-316); Janine Altounian: Erfahrung der Gewalt in der Generationenfolge. Diskussion des Beitrags von Krikor Beledian aus psychoanalytischer Perspektive (317-326); Stefan Hesper: Sterben lassen. Zur Indifferenz von Macht und Gewalt in Das Menschengeschlecht von Robert Antelme (327-342).
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.15.425.442.25 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Mihran Dabag / Antje Kapust / Bernhard Waldenfels (Hrsg.): Gewalt. München: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/10448-gewalt_12354, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 12354 Rezension drucken
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