/ 03.06.2013

Walter Reese-Schäfer
Grenzgötter der Moral. Der neuere europäisch-amerikanische Diskurs zur politischen Ethik
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997; 780 S.; 39,80 DM; ISBN 3-518-28882-2Habilitationsschrift Fachbereich Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften der Universität Halle-Wittenberg; Hauptgutachter: R. Saage. - In seiner Schrift Zum ewigen Frieden spricht Kant vom Grenzgott der Moral, welcher Jupiter als dem Grenzgott der Gewalt nicht weiche. Die Rede vom Grenzgott, die auf eine Erzählung des Titus Livius zurückgeht, greift Reese-Schäfer auf, indem er Verfahrensweisen der Bereichstrennung innerhalb pluralistischer Moraltheorien allegorisch als Grenzgötter der Moral identifiziert. Gegen konsensorientierte Konzeptionen politischer Ethik, wie sie in Diskursethiken einerseits und kommunitaristischen Modellen andererseits repräsentiert werden, bringt Reese-Schäfer dissenzorientierte Differenzierungstheorien der Moral - als deren neue Grenzgötter - in Stellung. Die Stärke der Differenztheorien, wie sie namentlich vom späten Lyotard, von Walzer, Luhmann und dem späten Rawls entwickelt wurden, liegt nach Reese-Schäfer darin, daß für sie die Akzeptanz der Sphärendifferenzierung zwischen Moral und Politik konstitutiv ist, welche nicht nur die Forderungen der Moral gegenüber der Politik berücksichtigt, sondern vor allem auch jene der Politik gegenüber der Moral. Gerade im Hervorheben des letzteren, das heißt im Ausweis der Notwendigkeit einer politischen Relativierung moralischer Ansprüche im pluralistisch-demokratischen Staat, liegt eine der Stärken der monumentalen Studie Reese-Schäfers, die vor diesem Hintergrund als eine Verteidigung der Politik zu lesen ist. Sie ist aber darüber hinaus eine gründliche und wohlinformierte Darstellung der gegenwärtigen politikphilosophischen Debatte. Diese wird allerdings nicht nur referiert. Ausgehend von der Perspektive Reese-Schäfers, die sich von der Frage nach den wahrscheinlichen Konsequenzen verschiedener Moralkonzeptionen für die Politik leiten läßt (23 ff., 26 ff.), wird die Diskussion vielmehr in eine neue Richtung gelenkt, einen Schritt vorangetragen und damit vor einer sich längst abzeichnenden Erstarrung bewahrt.
Michael Henkel (MH)
Priv.-Doz. DR., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.4 | 2.64
Empfohlene Zitierweise: Michael Henkel, Rezension zu: Walter Reese-Schäfer: Grenzgötter der Moral. Frankfurt a. M.: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2058-grenzgoetter-der-moral_2499, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 2499
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Priv.-Doz. DR., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
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