War Stresemann ein Nationalist im europäischen Schafspelz, der nur Theaterauftritte vor der Vollversammlung des Völkerbundes in Genf absolvierte? Oder war er ein vom Saulus zum Paulus geläuterter, national gesonnener Politiker, der Europa als eine Chance für Deutschland begriff? Das Leben des „ersten Europäers“ (11), wie Zeitgenossen ihn nannten, ist bekannt: Aus der unteren Mittelschicht stammend und mit dem Willen zur Macht ausgestattet, wurde Stresemann im Ersten Weltkrieg zu einem Lautsprecher der Siegeszuversichtlichen. Nach 1918 ging er ernüchtert in die Opposition, richtete sich dort aber nicht nur ein: Der Politiker wurde zum Gestalter in schweren Zeiten, so als Reichskanzler während der Ruhrbesetzung und des Hitlerputsches. Den Höhepunkt seiner politischen Karriere erlebte er als Außenminister: Innenpolitisch nahm er die eigene Partei, die DVP, an die Zügel, außenpolitisch ebnete er dem Reich den Weg zur internationalen Anerkennung. Sein Engagement galt den Fragen der Reparationen und der Grenzziehung sowie wie vor allem den Verträgen von Locarno und dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. Zeitgenossen empfanden seinen Tod 1929 als einen tragischen Verlust, seine Leistungen wurden übergreifend in den staatstragenden Parteien anerkannt. Stresemann war zweifellos ein Patriot, der über eine intelligente Außenpolitik seinem Land wieder zu Ansehen verhalf. Wright beschreibt diesen Weg des Nationalisten zu einem überzeugten Demokraten anregend in der besten Manier einer politischen Biografie.