/ 22.06.2013
Wolfgang Fischer
Heimat-Politiker? Selbstverständnis und politisches Handeln von Vertriebenen als Abgeordnete im Deutschen Bundestag 1949 bis 1974
Düsseldorf: Droste Verlag 2010 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 157); 479 S.; 58,80 €; ISBN 978-3-7700-5300-1Diss. Tübingen; Gutachter: E. Conze, A. Doering-Manteuffel. – Die Integration der Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg war ein Einwanderungsprozess innerhalb des eigenen Nationalverbandes, der trotz einer empfundenen Schicksalsgemeinschaft viele Konflikte mit sich brachte. Das in der Anfangsphase der Bundesrepublik Deutschland erklärte politische Ziel der Eingliederung hatte den Anspruch einer Gleichstellung der Vertriebenen mit den Einheimischen. Im Gegensatz zur stark ideologisierten Integrationspolitik der DDR zielte man in der Bundesrepublik mehr auf soziale und wirtschaftliche Gleichstellung sowie staatsrechtliche Integration ab, während die kulturelle Identität bewahrt bleiben sollte. Fischer untersucht dieses Spannungsfeld anhand des politisch-parlamentarischen Agierens Vertriebener als Abgeordnete im Bundestag. Im Zuge der beanspruchten erweiterten politikgeschichtlichen Analyse fragt Fischer nicht nur nach den Entscheidungsträgern und den Auswirkungen von Politik, sondern auch nach den Funktionsmechanismen. Dies erfolgt im Kontext von drei Untersuchungsebenen: politisches System, politische Kultur und politische Identität. Darüber hinaus analysiert Fischer zwei parlamentarische Diskurse – Westintegration sowie Ost- und Deutschlandpolitik – mit denen er das einerseits homogene (Vertriebenenidentität) und andererseits heterogene (Abgeordnete verschiedener Parteien) Bewusstsein und Agieren der Parlamentarier herausarbeitet. Die äußerst komplexe Untersuchung ist sehr gewinnbringend, da im Untersuchungszeitraum elf Prozent der Abgeordneten als Vertriebene bezeichnet werden konnten. Zudem verteilten sie sich relativ gleichmäßig innerhalb des Parteienspektrums. Aber nicht nur die Parteien fließen in die Analyse mit ein, sondern auch die Vertriebenenverbände. Im Vordergrund stehen wiederum die Rollenkonflikte der Abgeordneten. Fischer gelingt es, überzeugend das Selbstverständnis und politische Agieren der Bundestagsabgeordneten mit Vertriebenenhintergrund zu kontextualisieren. Er leistet damit gleichermaßen einen ausführlichen Beitrag zur Politikgeschichte der Vertriebenen wie auch zur Parlamentsgeschichte der bundesdeutschen Anfangsjahre.
Anja Franke-Schwenk (AF)
Dr. des., wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften (Bereich Politikwissenschaft), Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.313 | 2.331 | 2.343 | 4.21
Empfohlene Zitierweise: Anja Franke-Schwenk, Rezension zu: Wolfgang Fischer: Heimat-Politiker? Düsseldorf: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/33551-heimat-politiker_40156, veröffentlicht am 18.08.2011.
Buch-Nr.: 40156
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Dr. des., wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften (Bereich Politikwissenschaft), Universität Kiel.
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