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/ 18.06.2013
Manfred Koch-Hillebrecht

Hitler. Ein Sohn des Krieges. Fronterlebnis und Weltbild

München: Herbig 2003; 368 S.; 29,90 €; ISBN 3-7766-2357-8
Von der Vielzahl biografischer Deutungen der Weltanschauung und des politischen Handelns Adolf Hitlers hebt der Verfasser seinen Ansatz insofern ab, als er das Kriegserlebnis Hitlers als Ursache einer konkreten psychischen Erkrankung auffasst. Diese werde von der Psychologie heute unter dem Begriff „posttraumatische Belastungsstörung (PTB, auch als Posttraumatic Stress Disorder/PTSD bekannt)" als klar umrissenes Krankheitsbild identifiziert. Systematisch empirisch untersucht wurde die traumatische Störung, die zu Abstumpfung, Unempfindlichkeit und Rohheit führt, erstmals bei Soldaten und Zivilisten, die den Krieg im Kosovo 1998/99 miterlebt hatten. Bei seiner Übertragung der Diagnose auf Hitler ist der Verfasser demgegenüber auf Mutmaßungen und das Studium der Hitler'schen Schriften, Reden und Selbstzeugnisse sowie auf Beschreibungen des Weltkriegsgefreiten beziehungsweise NSDAP-Politikers durch Zeitzeugen angewiesen. Dennoch kommt er zu einem eindeutigen Ergebnis: „Hitler empfand seinen Fronteinsatz als demütigende Vergewaltigung, insbesondere die schreckliche Überwältigung durch feindliches Gas [...] Auf diese extreme Traumatisierung reagierte er geradezu psychotisch. Die Grenzen seines Ichs drohten sich aufzulösen und er identifizierte seinen wehrlosen Körper mit dem Vaterland. So sah er auch die militärische Niederlage als eine Vergewaltigung durch den Feind an. Nach [dem Kriegs-]Erlebnis führte er sein weiteres Leben als einen Rachefeldzug gegen den abscheulichen Vergewaltiger, der [...] dem geliebten Vaterland durch die Verträge von Versailles von neuem unerträgliche Schande zufügte. Hitler beschloss, Politiker zu werden." (22) Die Erklärung politischen Denkens und Handelns aus individualpsychologischen Motiven bzw. einer individuellen psychischen Erkrankung führt zu einer „Charakterstudie" Hitlers als Kriegsopfer, die bewusst die Einbindung des Politikers in Partei- und Gesellschaftsstrukturen, Machtverhältnisse und institutionelle Strukturen weitestgehend ausblendet und dessen Weltanschauung monokausal als Krankheitsfolge mit katastrophalem Ausgang deutet.
Michael Hein (HN)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
Rubrizierung: 2.312 Empfohlene Zitierweise: Michael Hein, Rezension zu: Manfred Koch-Hillebrecht: Hitler. München: 2003, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/19603-hitler_22805, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 22805 Rezension drucken
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