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/ 03.06.2013
Thomas Petersen

Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille. Buchanans politische Ökonomie und die politische Philosophie

Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1996 (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften 93); XII, 280 S.; Ln., 158,- DM; ISBN 3-16-146580-6
Habilschrift Heidelberg. - Welchen Beitrag hat die ökonomische Theorie des Staates zur politischen Philosophie geleistet? Petersen nähert sich dem Wesen, den Leistungen und Grenzen der ökonomischen Theorie des Staates aus zwei Richtungen: Zum einen geht er ihren Wurzeln nach und untersucht die Entwicklung der Ökonomik von der auf die Staatswirtschaft begrenzten Wissenschaft à la Adam Smith zur modernen Ökonomik, die als eine rationale Entscheidungstheorie auch für andere Bereiche, also auch für den staatlich-institutionellen Bereich der Politik, einen Erklärungsanspruch hat (Neue politische Ökonomie, Public-Choice-Theorie). Zum anderen wird die ökonomische Theorie des Staates innerhalb der traditionellen politischen Philosophie verortet und auf ihren Erkenntniswert hin überprüft. Buchanans vertragstheoretischer Ansatz ist für Petersen der "anspruchsvollste und in seiner Durchführung folgerichtigste Versuch, die Verfassung des modernen gewaltenteilenden und demokratischen Staates allein aus ökonomischen Prinzipien zu erklären" (137). Der Autor kommt jedoch zu dem Ergebnis, daß sich eine ökonomische Theorie des demokratischen Verfassungsstaates letztlich nicht formulieren läßt. Danach zeigen die ökonomische Theorie selbst und auch Erkenntnisse aus der Praxis, daß gerade individuell-nutzenmaximierendes Verhalten - und damit die Grundannahme der ökonomischen Theorie der Politik - zum endogenen Verfall des demokratischen Staates führt. Buchanan will diesem Dilemma dadurch begegnen, daß er von einem ergänzenden und korrigierenden "konstitutionellen Interesse" der Individuen ausgeht. Dieses Interesse hat bei Buchanan einen "allgemeinen Zweck, nämlich die Erhaltung der demokratischen Ordnung selbst" (157), und zieht die "Grenzen der Freiheit" (Titel von Buchanans einschlägiger Monographie, Tübingen 1984) für die Verfolgung partikularer Interessen. Für Petersen stellt sich nun die Frage, ob Buchanans allgemeines, "konstitutionelles" Interesse bei konsequent nutzenmaximierenden Individuen überhaupt entsteht bzw. ob ein bestehendes "konstitutionelles" Interesse mit dem Privatinteresse gleichzusetzen ist - wenn ja, wäre das "konstitutionelle" Interesse durch das Kosten-Nutzen-Paradigma der ökonomischen Theorie der Politik erklärbar. Petersen verneint beides. Ein "konstitutionelles Interesse" der Individuen ist danach nicht durch die ökonomische Theorie der Politik zu erklären, seine Existenz läßt sich nicht aus dem Zusammenspiel von nutzenmaximierenden Individuen herleiten. Man kann, so Petersen, zwar mit Vanberg annehmen, daß sich nutzenmaximierende Individuen z. B. gegenseitig die grundsätzliche Freiwilligkeit von Tauschaktionen zusichern (158 f.), also einen gewissen Regelbestand einführen. Allerdings befolgt der homo oeconomicus Regeln nur dann, wenn dies zu seinem Vorteil ist. Deshalb ist eine Normierung und Etablierung von Freiheits- und Gleichheitsrechten, die über ein "Gleichgewicht in der Anarchie" (159) hinausgeht, dem rationalen Verhaltensmuster der ökonomischen Theorie der Politik nicht immanent. Aus rational-nutzenmaximierendem Verhalten begründet sich somit kein "konstitutionelles Interesse" der Individuen, so daß die ökonomische Theorie des Staates wiederum keine Erklärung oder theoretische Begründung für den demokratischen Verfassungsstaat liefern kann. Dieser Diskurs liefert Petersen anschließend die Anknüpfungspunkte zu den politischen Philosophien von Rousseau und Habermas (5. Kapitel), Kant und Hegel. Inhaltsübersicht: I. Politik und individuelle Präferenz: 1. Die ökonomische Theorie der Politik zwischen Aristoteles und Adam Smith?; 2. Vom Utilitarismus zur reinen Ökonomik; 3. Die ökonomische Theorie des Staates. II. Das Problem der Freiheit, das allgemeine Interesse und der allgemeine Wille: 4. Die ökonomische Theorie der Politik in der Diskussion und das allgemeine Interesse; 5. Die Freiheit als Grundlage und Ziel kollektiven Handelns; 6. Rechtliche Freiheit bei Kant; 7. Ökonomie und Staat in Hegels Rechtsphilosophie.
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 5.45.3 Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Thomas Petersen: Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille. Tübingen: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/1743-individuelle-freiheit-und-allgemeiner-wille_1997, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 1997 Rezension drucken
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