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/ 17.06.2013
Wolfgang Kersting

Jean-Jacques Rousseaus "Gesellschaftsvertrag"

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002 (Werkinterpretationen); 228 S.; kart., 22,50 €; ISBN 3-534-14502-X
Die Herausforderung bei einer Interpretation von Rousseaus "Contrat social" liegt nach Kersting nicht darin, eine Satz-für-Satz-Analyse vorzunehmen, sondern die zentralen Widersprüche und 'Spannungen' (12 f.) zu erläutern, die den Text auszeichnen. Die entscheidende, das ganze Werk prägende Spannung ist diejenige zwischen dem individualistisch und kontraktualistisch begründeten Rechtsstaat einerseits und einem "ethischen Republikanismus", der eine "Gemeinschaft des Guten" fordert (12), andererseits. Dieses Spannungsverhältnis wird mittels einer werk- und ideengeschichtlichen Kontextualisierung herausgearbeitet: Kersting analysiert nacheinander die Vertragslehre des "Contrat social", das Konzept der "volonté générale", die Aufgaben der Regierung und die Figur des "législateur", wobei er jeweils Bezüge zu konkurrierenden Vertragstheorien (insbesondere von Hobbes, Locke und Pufendorf) herstellt. Im Ergebnis vertritt Kersting die These, dass die oben genannte Spannung zwischen Liberalismus und Republikanismus daraus resultiert, dass Rousseau weniger die Konstruktion einer Vertragstheorie als vielmehr vor allem die Kritik individualistischer Gesellschaftskonzeptionen bezweckt habe: "Im Contrat social begegnet uns eine Theorie, die versucht, mit den begrifflichen Mitteln moderner politischer Selbstverständigung eine politische Lebensform der Vormoderne zu modellieren und dem zeitgenössischen Liberalismus kritisch entgegenzuhalten." (208 f.). Rousseau bringe damit in seinem Werk "die Vormoderne gegen die Moderne in Stellung" (13), d. h. er richtet die Idee einer guten Gemeinschaft auf der Grundlage eines neuen Menschen gegen den Individualismus. Diese Interpretation hat aber einen entscheidenden Haken: Sie übersieht, dass Rousseaus Verständnis von politischer Gemeinschaft gerade aus dem Individualismus und der Forderung nach radikaler Freiheit heraus entwickelt wird - ganz im Unterschied zu den so genannten "vormodernen" Positionen, die (wie z. B. Aristoteles) das Individuum als kontingent begreifen. Die Anthropologie und der Gemeinschaftsbegriff von Rousseau verweisen somit weniger auf frühere Positionen der politischen Theorie als vielmehr auf spätere - bilden sie doch die ideengeschichtliche Grundlage des Kollektivismus von Karl Marx.
Hendrik Hansen (HH)
Dr., Lehrbeauftragter, Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 5.32 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Hansen, Rezension zu: Wolfgang Kersting: Jean-Jacques Rousseaus "Gesellschaftsvertrag" Darmstadt: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/16916-jean-jacques-rousseaus-gesellschaftsvertrag_19433, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 19433 Rezension drucken
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