/ 18.06.2013
Uwe Hoßfeld / Jürgen John / Oliver Lemuth / Rüdiger Stutz (Hrsg.)
"Kämpferische Wissenschaft" Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus
Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2003; 1.160 S.; geb., 154,- €; ISBN 3-412-04102-5Die Universität Jena war eine prominent „rassekundlich" ausgerichtete Forschungs- und Ausbildungsstätte des „Dritten Reiches". Ihre höchst widersprüchliche Geschichte jener Zeit wird mit diesem opulenten Sammelband erstmals interdisziplinär in Form einzelner Studien untersucht. Diese widmen sich nach einem Gesamtüberblick dem Lehrkörper, der Studentenschaft sowie ausgewählten Fakultäten, Fachdisziplinen, Strukturen und Wissenschaftlern. In universitäts- und wissenschaftsgeschichtlichen Vergleichen werden spezifische Profile und Milieus, markante Ausbildungs- und Wissenschaftsbeiträge sowie exemplarische Konfliktfelder herausgearbeitet. Dabei wird deutlich, dass der Wissens- und Kompetenztransfer in Kernbereiche nationalsozialistischer Politik sowie der Kriegsführung und Generalplanung „Ost sich nicht auf die NS-Aktivisten der so genannten „kämpferischen Wissenschaft" und ihre Fächer beschränkte. Wie die Studien zeigen, wurde dies vom Gros der Jenaer Hochschullehrer keineswegs nur hingenommen, sondern aus den unterschiedlichsten Motiven bereitwillig unterstützt. So geben die Studien vielfältige Einblicke in das enge Verhältnis von Wissenschaft und Nationalsozialismus, z. B. bei der Kriegsvorbereitung, beim Kriegseinsatz der Wissenschaft und bei der Beteiligung Jenaer Mediziner an Zwangssterilisationen und der Tötung behinderter Kinder. Mit dieser Entwicklung wurde die Jenaer Universität zum Modellfall des Wandels von einer traditionell eher philosophisch geprägten zur „lebensgesetzlich-rassisch" und naturwissenschaftlich ausgerichteten Universität.
Aus dem Inhalt:
I. Gesamtuniversität
Uwe Hoßfeld / Jürgen John / Rüdiger Stutz:
„Kämpferische Wissenschaft": Zum Profilwandel der Jenaer Universität im Nationalsozialismus (23-121)
Tilde Bayer:
Zur Struktur des Lehrkörpers der Universität Jena 1870-1955: Ausschnitte aus dem Datenbankprojekt „Entwicklung der Hochschullehrerschaft und der Hochschullehrerlaufbahn an der Universität Jena über den Zeitrauf von 400 Jahren (122-135)
Dieter Hofmann / Rüdiger Stutz:
Grenzgänger der Wissenschaft: Abraham Esau als Industriephysiker, Universitätsrektor und Forschungsmanager (136-179)
Willy Schilling:
NS-Dozentenschaft und Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund an der Universität Jena (180-201)
Annett Hamann:
„Männer der kämpfenden Wissenschaft": Die 1945 geschlossenen NS-Institute der Universität Jena (202-234)
Mike Bruhn:
Die Jenaer Studentenschaft 1933-1939 (235-261)
Heike Böttner:
Pflichterfüllung an der „Inneren Front" und Bewältigung des Alltags im Kriege: Die Jenaer Studentenschaft während des Zweiten Weltkrieges 1939-1945 (262-289)
Katrin Stiefel:
„Die rein intellektuelle Frau lehnen wir radikal ab": Die Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen (ANSt) an der Universität Jena 1931-1936. Eine Spurensuche (290-310)
Willy Schilling:
Die Gesellschaft der Freunde der Thüringischen Landesuniversität Jena (311-320)
Justus H. Ulbricht:
„Goethe-Schiller-Universität Jena-Weimar"? Die Salana im politisch-intellektuellen Netzwerk der Doppelstadt - eine Skizze (321-360)
Ronald Hirte / Harry Stein:
Die Beziehungen der Universität Jena zum Konzentrationslager Buchenwald (361-398)
II. Fakultäten, Disziplinen, Institute
Susanne Zimmermann / Thomas Zimmermann:
Die Medizinische Fakultät der Universität Jena im „Dritten Reich" - ein Überblick (401-436)
Renate Renner / Susanne Zimmermann:
Der Jenaer Kinderarzt Jussuf Ibrahim (1877-1953) und die Tötung behinderter Kinder während des Nationalsozialismus (437-451)
Susannah Heschel:
The Theological Faculty at the University of Jena as „a Stronghold of National Socialism" (452-470)
Jörg Opitz:
Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Jena und ihr Lehrkörper im „Dritten Reich" (471-518)
Uwe Hoßfeld:
Von der Rassenkunde, Rassenhygiene und biologischen Erbstatistik zur Synthetischen Theorie der Evolution: Eine Skizze der Biowissenschaften (519-574)
Günter Rubach:
Die landwirtschaftliche Fachschaft an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (575-595)
Oliver Lemuth / Rüdiger Stutz:
„Patriotic scientists": Jenaer Physiker und Chemiker zwischen berufsständischen Eigeninteressen und „vaterländischer Pflichterfüllung" (596-678)
Carsten Klingemann:
Wissenschaftsanspruch und Weltanschauung: Soziologie an der Universität Jena 1933 bis 1945 (679-722)
Hans-Joachim Dahms:
Jenaer Philosophen in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Folgezeit bis 1950 (723-771)
Michael Koch / Matthias Schwarzkopf:
Pädagogische Konzepte der Jenaer Erziehungswissenschaft in der NS-Zeit (772-793)
Robert Döpp:
„... doch irgendwie mittendrin ...": „Jena-Plan" im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur „Alltagsgeschichte" der NS-Zeit (794-821)
Torsten Schwan:
Ein politisch naiver, opportunistischer Theoretiker? Peter Petersen und der Nationalsozialismus: Stand und Probleme der Forschung (822-849)
Angelika Pöthe:
Konservatives Kulturideal und Nationalsozialismus: Jenaer Germanisten im Dritten Reich (850-867)
Roman Grabolle / Uwe Hoßfeld / Klaus Schmidt:
Ur- und Frühgeschichte in Jena 1930-1945: Lehren, Forschen und Graben für Germanien? (868-912)
Herbert Gottwald:
Die Jenaer Geschichtswissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus (913-942)
Matthias Steinbach:
Friedrich Schneiders „Kaiserpolitik des Mittelalters": Zur Karriere eines Bestsellers im Spannungsfeld ideologisierter Geschichtsbilder und universitärer Machtkämpfe (943-966)
Hans-Georg Kremer:
Die Gründung des Instituts für Leibesübungen Jena 1934 und dessen Entwicklung bis 1945 (967-989)
III. Vergleichende und erinnerungskulturelle Perspektiven
Mark Walker:
„Nazi Science"? Natural Science in National Socialism (993-1.012)
Paul Weindling:
„Mustergau" Thüringen: Rassenhygiene zwischen Ideologie und Machtpolitik (1.013-1.026)
Joachim Kaasch / Michael Kaasch:
Hallesche Naturwissenschaftler (Emil Abderhalden und Johannes Weigelt) in der Zeit des Nationalsozialismus: Eine Fallstudie mit Jenaer Beziehungen (1.027-1.064)
Marco Schrul / Jens Thomas:
Kollektiver Gedächtnisverlust: Die Ibrahim-Debatte 1999/2000 (1.065-1.098)
Markus Kaim (MK)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Forschungsgruppe "Sicherheitspolitik", Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Berlin.
Rubrizierung: 2.312
Empfohlene Zitierweise: Markus Kaim, Rezension zu: Uwe Hoßfeld / Jürgen John / Oliver Lemuth / Rüdiger Stutz (Hrsg.): "Kämpferische Wissenschaft" Köln/Weimar/Wien: 2003, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/17617-kaempferische-wissenschaft_20300, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 20300
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Forschungsgruppe "Sicherheitspolitik", Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Berlin.
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