/ 22.05.2014
João Paulo Bachur
Kapitalismus und funktionale Differenzierung. Eine kritische Rekonstruktion
Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013 (Studien zur Politischen Soziologie 25); 198 S.; brosch., 34,- €; ISBN 978-3-8487-0762-1Politikwiss. Diss. São Paulo; Begutachtung: F. Haddad. – Die von João Paulo Bachur angeführten Begriffe der funktionalen Differenzierung und des Kapitalismus bilden auf den ersten Blick einen klaren Widerspruch. Der erste ist der Systemtheorie von Niklas Luhmann zuzuordnen, in der der Kapitalismus höchstens eine untergeordnete Rolle spielt. Die Differenzierung ist das, was die moderne Gesellschaft ausmacht. Der zweite kann mit materialistischen Gesellschaftstheorien in Verbindung gebracht werden, die den Kapitalismus als zentrales Merkmal der Moderne ansehen, das alle Gesellschaftsbereiche durchdringt. Bachur versucht diesen Gegensatz aufzulösen. Ein Hauptargument lautet dabei: Beide sind „historisch konstitutiv miteinander verquickt“ (18), sie sind gleichzeitig entstanden und nicht ohne einander zu denken, obwohl die Systemtheorie einen höheren Abstraktionsgrad aufweist. Dennoch bauen sie auf einem ähnlichen Gedanken auf, dem der „objektiven Selbstreferenz“ (34): „Beide stellen geschlossene operative Kreisläufe dar, die durch Produktions‑, Zirkulations‑ und Akkumulationsprozesse strukturiert und institutionell stabilisiert sind“ (163). Was für die Teilsysteme von Niklas Luhmanns Systemtheorie konstituierend ist, kann auch auf den Begriff des Kapitals angewandt werden: Ware und Geld sind provisorische Ausdrucksformen des Kapitals, die stets im selben System zirkulieren und dieses damit aufrechterhalten und weiterspinnen. In einem zweiten Schritt weist Bachur dann auf Probleme in der Systemtheorie Luhmanns hin. Sie ist demnach dialektisch und stets einer systemimmanenten Kritik ausgesetzt. Auf abstrakter Ebene sind diese Konflikte nicht zu lösen, womit wiederum der begrifflich ähnliche – historisch aber wesentlich greifbarere – Kapitalismus ins Spiel kommt: Spätestens seit 1989 hat er die Bedeutung einer reinen Immanenz. Er wird damit für Luhmann zu einer umgekehrten Religion, die nur auf das Gegenwärtige und Materielle ausgerichtet ist. Wenn Religion früher versuchte, dem innerweltlichen Verhalten über den Verweis auf Gott Sinn zu geben, tut dies nun der Kapitalismus über den Verweis auf die wirtschaftlichen Prozesse. Das Buch ermöglicht einen guten ersten Einblick in die Systemtheorie von Niklas Luhmann, da die Grundbegriffe klar erklärt werden. Aber auch für Kenner_innen dieser Gesellschaftstheorie ist es zu empfehlen, da ihre historische Einordnung und Verknüpfung mit dem Kapitalismus neue Aspekte und Forschungsmöglichkeiten eröffnen.
Vinzent-Vitus Leitgeb (VL)
B.A., Politikwissenschaften, Student im Masterstudiengang des Geschwister-Scholl-Instituts für Politikwissenschaften an der LMU München.
Rubrizierung: 5.45 | 5.42
Empfohlene Zitierweise: Vinzent-Vitus Leitgeb, Rezension zu: João Paulo Bachur: Kapitalismus und funktionale Differenzierung. Baden-Baden: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/37114-kapitalismus-und-funktionale-differenzierung_45524, veröffentlicht am 22.05.2014.
Buch-Nr.: 45524
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B.A., Politikwissenschaften, Student im Masterstudiengang des Geschwister-Scholl-Instituts für Politikwissenschaften an der LMU München.
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