/ 18.06.2013

Gerhard Hirschfeld / Tobias Jersak (Hrsg.)
Karrieren im Nationalsozialismus. Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz
Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2004; 345 S.; kt., 24,90 €; ISBN 3-593-37156-1Vorwiegend anhand von Einzelfallstudien zeichnen die Autorinnen und Autoren die Einbindung von Funktionseliten in das nationalsozialistische System nach. Betrachtet werden Eliten aus Bürokratie und Verwaltung, der Wissenschaft und dem Militär. Auch Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen im Verhalten der Funktionsträger sollten aufgezeigt werden. Diese waren jedoch, wie sich in den Studien zeigte, häufig geringer als ursprünglich angenommen. Obwohl die Akteure teilweise eine innere Distanz zu den politischen Vorgaben empfanden, setzten sie diese dennoch mit Effizienz und mit zum Teil großer Bereitwilligkeit um. Dies lag zum einen an der durch die Arbeitsteilung bedingten Verringerung der persönlichen Verantwortung, zum anderen an den individuellen Interessen der Täter, die von den getroffenen Entscheidungen persönlich profitierten. Einzelne nutzten durchaus Lücken und Handlungsspielräume des Systems aus, um Leben zu retten, nahmen aber zugleich in Kauf, dass dafür andere Menschen sterben mussten. So wird deutlich, dass auch Akteure mit Distanz zum System häufig in hohem Maße dazu beitrugen, dieses zu legitimieren, zu stabilisieren und dessen politische Ziele umzusetzen und nur selten tatsächlichen Widerstand leisteten.
Aus dem Inhalt:
Ulrich Herbert:
Wer waren die Nationalsozialisten? Typologien des politischen Verhaltens im NS-Staat (17-42)
I. Verwaltungsexperten
Frank Bajohr:
Interessenkartell, personale Netzwerke und Kompetenzausweitung. Die Beteiligten bei der „Arisisierung" und Konfiszierung jüdischen Vermögens (45-55)
Alfons Kenkmann:
„Pater Devisius" - ein Finanzbeamter zwischen Weltwirtschaftskrise, Weltanschauung und Wiedergutmachung (57-71)
Isabel Heinemann:
Ambivalente Sozialingenieure? Die Rasseexperten der SS (73-95)
II. Besatzungsbürokraten
Thomas Sandkühler:
Berthold Beitz und die „Endlösung der Judenfrage" im Distrikt Galizien 1941-1944 (99-125)
Geraldien von Frijtag:
Zwischen Tätern, Zuschauern und Opfern. Hans Georg Calmeyer und die Judenverfolgung in den besetzten Niederlanden (127-145)
Peter Romijn:
Kein Raum für Ambivalenzen. Der Chef der niederländischen inneren Verwaltung K. J. Frederiks (147-171)
Marc Olivier Baruch:
Die Geburt eines Konzepts. Über Ambivalenzen in der französischen Beamtenschaft (173-182)
III. Offiziere
Oliver von Wrochem:
Ein unpolitischer Soldat? Generalfeldmarschall Erich von Manstein (185-204)
Kerstin von Lingen:
Soldat bis zum letzten Tag? Generalfeldmarschall Albert Kesselring (205-224)
Christian Hartmann:
Gehorsam im Widerstand. Der Generalstabschef Franz Halder (225-238)
Johannes Hürter:
Konservative Mentalität, militärischer Pragmatismus, ideologisierte Kriegführung. Das Beispiel des Generals Georg von Küchler (239-253)
Tobias Jersak:
Die vermeintliche Ambivalenz des Bösen. Der SS-Offizier Kurt Gerstein (255-262)
IV. Wissenschaftler
Carola Sachse:
Visionen, Expertisen, Kooperationen. Forschen für das „Dritte Reich" - Beispiele aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (265-290)
Michael Zimmermann:
„Mit Weigerungen würde also nichts erreicht". Robert Ritter und die Rassenhygienische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt (291-317)
Christoph Cornelißen:
Im Einsatz für die „wahre Volksgemeinschaft". Der Historiker Gerhard Ritter im Nationalsozialismus (319-339)
Silke Becker (BE)
Dipl.-Soziologin; freie Journalistin.
Rubrizierung: 2.312
Empfohlene Zitierweise: Silke Becker, Rezension zu: Gerhard Hirschfeld / Tobias Jersak (Hrsg.): Karrieren im Nationalsozialismus. Frankfurt a. M./New York: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/18860-karrieren-im-nationalsozialismus_21879, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 21879
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Dipl.-Soziologin; freie Journalistin.
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