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/ 05.06.2013
Rudolf Maresch / Niels Werber (Hrsg.)

Kommunikation, Medien, Macht

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1408); 450 S.; 29,80 DM; ISBN 3-518-29008-8
In zeitgenössischer Demokratie hat personengebundene Herrschaft keinen Raum; Prozesse der Willensbildung und Machtausübung sind vielmehr eingebunden in demokratisch legitimierte Institutionen und Verfahren, die ausdrücklich die Zone von Willkür und ungerechtfertigter Interessendurchsetzung minimieren sollen. Dieses normative Selbstverständnis demokratischer Systeme, das auch den Basiskonsens der Politikwissenschaft darstellen dürfte, steht allerdings oftmals quer zu dem Gesellschaftsbild, das andere sozialwissenschaftliche Disziplinen entwerfen. Zumal gesellschaftstheoretische Analysen vielfach grundsätzliche Zweifel formulieren, die hinter der "Fassade" demokratisch-rechtsstaatlicher Normen ganz andere Mechanismen vermuten als Prinzipien einer der öffentlichen Aushandlung verpflichteten Politik. Das gilt schon für Webers Konzeption der Durchsetzung der rational-legalen Herrschaft, deren Unentrinnbarkeit er in der technischen Effizienz des bürokratischen Apparates begründet sah. Seitdem hat die Aufmerksamkeit für diese andere Seite der unpersönlichen Herrschaft nicht nachgelassen - sei es in der kritischen Sicht einer strukturellen Gewalt kapitalistischer Verhältnisse, sei es in der konservativen Vision eines technischen Staates. Mit der rapiden Ausbreitung digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien hat die Frage nach den nicht-intendierten sozialen Folgen einer weltweit eingesetzten Technik gewiß ihr aktuellstes Thema gefunden. Unstrittig dürfte sein, daß die neuen Kommunikationstechnologien erhebliche Auswirkungen sowohl auf der Ebene der Sozialstrukturen wie auf der der Lebenswelten haben werden; strittig hingegen, ob wir gegenwärtig über das Phänomen überhaupt schon Verbindliches aussagen können. Der Sammelband dokumentiert auf sehr anregende Weise unsere derzeitige Unsicherheit in der Analyse der Effekte, die mit den neuen Medien verbunden sind. Das gilt einerseits für den theoretischen Rahmen der anzustellenden Beobachtungen und die Wahl angemessener Begriffe: Wird Medienanalyse wirklich zur - von Foucault inspirierten - "Machtanalyse", wie die Herausgeber vermuten oder geht es eher um diffuse Formen von Einfluß? Das betrifft andererseits die Frage der disziplinären "Zuständigkeit" - ist der soziologische Zugang über den Begriff Kommunikation oder der medienwissenschaftliche über den der Information aussichtsreicher? Freilich besteht schon über die Leitbegriffe Kommunikation, Medien und Macht in den Beiträgen des Bandes keine Einigkeit (ganz abgesehen von der Frage, ob das Konzept symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien in der Lesart Luhmanns wirklich die sozialwissenschaftliche Sichtweise verkörpert). Angesichts der multidisziplinären Zusammensetzung der Autorenschaft (Soziologen, Medien- und Literaturwissenschaftler) kann diese Vielfalt der Perspektiven nicht überraschen. Allerdings dürfte diese Unentschiedenheit auch ein Spezifikum der neuen Medien spiegeln - wie Esposito überzeugend herausarbeitet -: ihnen eignet gewiß ein aktives Moment, aber dessen Effekte "wahrzunehmen und zuzuschreiben wird immer schwieriger" (99). Inhalt: Massen/Kommunikation: Niklas Luhmann: Öffentliche Meinung und Demokratie (19-34); Florian Rötzer: Aufmerksamkeit als Medium der Öffentlichkeit (35-58); Peter M. Spangenberg: Das Medium Audiovision (59-82); Elena Esposito: Macht als Persuasion oder Kritik der Macht (83-107); Siegfried J. Schmidt: Technik - Medien - Politik. Die Erwartbarkeit des Unerwartbaren (108-132). Medien/Technik: Wolfgang Hagen: Zur medialen Genealogie der Elektrizität (133-173); Dirk Baecker: Kommunikation im Medium der Information (174-191); Bernhard Siegert: Aliens. Zum Trauma des Nicht-Konvergenten in Literatur, Mathematik und technischen Medien (192-219); Volker Grassmuck: Schließungen und Öffnungen. Medientheoretische Anmerkungen zu Otaku und Fikusa (220-244); Christian Jürgens: Future Credit. Einige Überlegungen zum digitalen Geld (245-264); Rudolf Maresch: Die Kommunikation der Kommunikation (265-298); Geert Lovink / Pit Schultz: Aus den Schatzkammern der Netzkritik (299-328). Macht/Raum: Hans Ulrich Gumbrecht: Was sich nicht wegkommunizieren läßt (329-341); Stefan Wunderlich: Vom digitalen Panopticum zur elektrischen Heterotopie. Foucaultsche Topographien der Macht (342-367); Bernhard J. Dotzler: MarionettenTheaterSzenen. Von Kleist bis Virilio: Polare Machtverhältnisse (368-390); Friedrich Balke: Kafkas Ethik der Macht und ihre philosophische Antizipation (391-413); Niels Werber: Die Zukunft der Weltgesellschaft (414-444); Dietmar Kamper: Corpus absconditum. Das Virtuelle als Spielart der Absenz (445-446).
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.225.422.23 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Rudolf Maresch / Niels Werber (Hrsg.): Kommunikation, Medien, Macht Frankfurt a. M.: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/6700-kommunikation-medien-macht_9032, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 9032 Rezension drucken
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