/ 11.06.2013
Raimund von dem Bussche
Konservatismus in der Weimarer Republik. Die Politisierung des Unpolitischen
Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 1998 (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 11); 428 S.; kart., 98,- DM; ISBN 3-8253-0767-0Geschichtswiss. Diss. Heidelberg; Gutachter: E. Wolgast, H. Soell. - Die Arbeit beginnt Allegro furioso: auf den 20 Seiten des Einleitungskapitels lehnt von dem Bussche fast die gesamte bestehende Literatur zur Thematik in scharfer Polemik ab als unzureichend, voreingenommen, die Fakten ignorierend, Unterschiede übersehend oder künstlich schaffend. Das gilt vor allem für die Diskussion über die Konservative Revolution, die für von dem Bussche als Gruppe nie existiert hat - aber aus anderen Gründen als für die ja durchaus bereits vorhandenen Gegner dieser Bezeichnung, die wiederum die Komplexität des Phänomens nach von dem Bussche überhaupt nicht erkannt haben. Der Autor kritisiert nicht nur, er bietet auch den Königsweg zur Wahrheit an: alle konservativen Strömungen in der Weimarer Republik lassen sich von dem Wunsch der Politisierung des Unpolitischen leiten; von der Utopie der Rückkehr zu einer scheinbar sachlich-unpolitischen Welt der Obrigkeit. Das Paradox liegt für von dem Bussche nun darin, daß diese Utopie nur durch eine grundlegende Politisierung verfolgt werden konnte, mithin durch das Gegenteil dessen, was eigentlich als Ziel erwünscht wurde. Dieses Grundmuster glaubt der Autor überall zu entdecken; in der von der Ablehnung Versailles' ausgehenden Sammlungsbewegung wie in der Politik der DNVP, in der archetypischen Stilisierung des Bauern wie des Adels, und vor allem in den fünf von ihm ausführlich untersuchten konservativen Vordenkern Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt, Edgar Julius Jung und Wilhelm Stapel. Nun entgeht es auch von dem Bussche nicht, daß er hier Autoren mit höchst unterschiedlichen Vorstellungen über einen Kamm schert. Er löst dieses Dilemma - und rettet damit seine gebetsmühlenartig wiederholte Prämisse von der Politisierung des Unpolitischen - mit folgender Formel: "Es handelt sich hier um ein Phänomen, das man als Pluralismus der Fundamentalismen bezeichnen kann. Diese Diagnose richtet sich auf den grotesken Vorgang, daß sich die antipluralistische Gesinnung pluralistisch artikulierte und eine antidemokratische Haltung sich demokratisch gerierte." (231) Vielleicht ist dies aber gar kein grotesker Vorgang, sondern nur eine groteske These, die auf diesem Umweg doch wieder zu einer Differenzierung der als einheitliche Ideologie verstandenen Menge von Politikern und Theoretikern kommen muß, die sich bei näherer Betrachtung eben doch wesentlich unterscheiden, auch wenn sie natürlich in ihrer Ablehnung von Republik und Demokratie und "Verwestlichung" mancherlei Gemeinsamkeiten aufweisen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem hier zumindest sehr eigentümlich angewendeten Begriff Pluralismus findet nicht statt; die an dieser Stelle angebrachte Fußnote spricht nur von "der verwirrenden Vielfalt von antidemokratischen Bünden, Vereinen, Verbänden, Parteien und paramilitärischen Organisationen etc." (231) - als ob das schon Pluralismus wäre. Das Schlagwort von der "Entwicklung eines fundamentalistischen Pluralismus bzw. eines Pluralismus der Fundamentalismen" (20) reicht zur Erklärung nicht aus. Die Arbeit ist materialreich und bietet eine enge Textanalyse. Doch gemessen an der Heftigkeit, mit der fast alle einschlägigen bisherigen wissenschaftlichen Annäherungen an die Thematik bekämpft werden, ist der übergreifende Ertrag wie der Umgang mit komplexen Begrifflichkeiten ebenso enttäuschend wie die Selbstsicherheit des Autors.
Aus dem Inhalt: 2. Die Politisierung des Unpolitischen als Transformation des obrigkeitsstaatlichen Politikverständnisses; 3. Die nationale Protestpolitik; 4. Die metapolitische Spekulation; 5. Die archetypische Stilisierung; 6. Die Politisierung des Unpolitischen und die Selbstzerstörung des Konservatismus: Das Fiasko des Präsidialregimes.
Michael Dreyer (MD)
Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.43 | 2.311
Empfohlene Zitierweise: Michael Dreyer, Rezension zu: Raimund von dem Bussche: Konservatismus in der Weimarer Republik. Heidelberg: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/10439-konservatismus-in-der-weimarer-republik_12338, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 12338
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Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
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