Mit dem Wiedererwachen von Nationalismen, der Diskussion über Multikulturalität und dem wiedererstarkten Interesse für geschichtsphilosophische Perspektiven politischer Entwicklung wurde Johann Gottfried Herders Werk in den 90er Jahren wieder zum aktuellen Thema. So hat die Stiftung "Weimarer Klassik" in Zusammenarbeit mit der internationalen Herder-Gesellschaft zum 250. Geburtstag Herders im August 1994 in Weimar eine wissenschaftliche Konferenz veranstaltet, die dem Thema "Nationen und Kulturen" gewidmet war. Was die 43 in dem Tagungsband publizierten Beiträge verbindet, läßt sich neben dem thematischen Bezug mit den Stichworten Internationalität, Interdisziplinarität und Multikulturalität bezeichnen und ist gerade in der Vielfalt der einzelnen Facetten Herder durchaus angemessen. Der Band ist in vier Abteilungen gegliedert, die der Herder-Interpretation, dem Nach-Denken Herders in die Geschichte der Gegenwart hinein, seiner - vor allem in Osteuropa - vielfältigen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte sowie den poetischen und theologischen Implikationen seines Werkes gewidmet sind. Inhalt: Johannes Rau: Rede zum 250. Geburtstag Johann Gottfried Herders (1-12); Enno Rudolph: Eröffnungsvortrag: Kultur als höhere Natur. Herder als Kritiker der Geschichtsphilosophie Kants (13-25). Sektion I: Herders Auffassung von Nation und Kultur - ihre historischen Traditionen und ihre geschichtsphilosophische Substanz: Wilhelm Schmidt-Biggemann: Elemente von Herders Nationenkonzept (27-34); Hans Dietrich Irmscher: Poesie, Nationalität und Humanität bei Herder (35-47); Ulrich Gaier: Von nationaler Klassik zur Humanität. Konzepte der Vollendung bei Herder (49-64); Harro Müller-Michaels: Herder - Denkbilder der Kulturen. Herders poetisches und didaktisches Konzept der Denkbilder (65-76); Ralf Simon: Historismus und Metaerzählung. Methodische Überlegungen zur Erzählbarkeit von Geschichte in Herders Geschichtsphilosophie (77-95); Birgit Nübel: Zum Verhältnis von 'Kultur' und 'Nation' bei Rousseau und Herder (97-109); Rainer Baasner: Geographische Grundlagen von Herders Geschichtsphilosophie - am Beispiel der Begriffe 'Kultur' und 'Nation' (111-120); Wilfried Malsch: Nationen und kulturelle Vielfalt in Herders Geschichtsphilosophie (121-129); Martin Bollacher: Nationale Barbarei oder Weltbürgertum? Herders Sicht des 'siècle de lumières' in den frühen Schriften (131-138); Marion Heinz: Kulturtheorien der Aufklärung: Herder und Kant (139-152); Hugh Barr Nisbet: Die Naturgeschichte der Nationen. Naturgeschichte und naturwissenschaftliche Modelle in Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (153-164); Wolfgang Förster: Herders Zivilisationskritik als Bestandteil seiner Auffassung von der Nation (165-175). Sektion II: Herders Konzept der Identität von Kultur und Nation unter den Bedingungen multinationaler und multikultureller Entwicklung: Ernst Hannemann: Kulturelle Osmose und die nationale Identität in Herders politischem Denken (177-190); Amy R. McCready: Herder's Theory of Cultural Diversity and Its Postmodern Relative (191-206); Matthias Dümpelmann: "Keiner Vollkommenheit fähig". Herder und die Verzeitlichung nationaler Identität (207-216); Jost Schneider: Den Deutschen die Krone? Herder über den kulturellen Wettstreit der Nationen (217-225); Wulf Koepke: Der Staat - die störende und unvermeidliche Maschine (227-238); Samson B. Knoll: Herders Nationalismus - Debatte ohne Ende (239-248); Michael Neumann: "Die starken Bande". Eine konservative Theorie aus dem Geiste der Aufklärung (249-260); Denise Modigliani: Herders Blick auf die Moderne (261-270); Hans Adler: Weltliteratur - Nationalliteratur - Volksliteratur. Johann Gottfried Herders Vermittlungsversuch als kulturpolitische Idee (271-284); Thomas Althaus: Die Bedeutung eines Ganzen. Literaturgeschichte als Weltgeschichte in Herders Ideen (285-293); Vicki A. Spencer: Difference and Unity. Herder's Concept of Volk and its Relevance for Contemporary Multicultural Societies (295-305); Hans-Jakob Werlen: Multikulturalismus, Postmoderne und Herder (307-317). Sektion III: Rezeption der Herderschen Vorstellungen von Nationen und Kulturen in verschiedenen Ländern: Günter Arnold: Historische Anlässe, Quellen, Illusionen von Herders Nationalstaatsgedanken für Rußland (Thesen) (319-323); Katia Dmitrieva: Herder im Streit zwischen Okzidentalisten und Slawophilen um das russische Nationalbewußtsein (325-332); Ivan Cvrkal: Nation, Sprache, Kultur und Humanität - Herder in der Slowakei (333-341); Evelina Piradova: Herder und Armenien (343-349); Vladimir A. Avetisjan: Herders Aktualität bei slawischen Völkern heute (351-357); Sven-Aage Jorgensen: Herder und Grundtvig - dänischer Nationalgeist und Christentum (359-363); Ivar Sagmo: "Iduns Ápfel reift doch nur am gepfropften Baum". Herder-Spuren im norwegischen Schriftentum (365-374); Winfried Woesler: Ist die Gotik von "deutscher Art"? (375-385). Sektion IV: Nationalgenie und Religionen: Christoph Bultmann: Die Urgeschichte in Herders Geschichtsphilosophie. Anmerkungen zur Suche nach den Ursprüngen des Nationalismus (387-394); Thomas Willi: Hebräische Sprache und Sprachlichkeit der Bibel bei Herder (395-404); Siegfried H. Sunnus: Nationalität und Humanität. Ihre theologische Begründung bei Johann Gottfried Herder (405-416); Thomas Zippert: Die theologischen Grundlagen für Herders Kategorien von Individualität und Mannigfaltigkeit (417-425); Yoshinori Shichiji: Grundzüge der Poetologie Herders. Kunst als Realisation der alten Religionen (427-434); John D. Baildam: "Im vollen Kreise des Volks entsprungen"? Kultur, Nation und Herders Lieder der Liebe (435-447); Regine Otto: Bekehrung der Indier durch unsre Europäische Christen. Herder über Religion und Kolonialismus (449-457); Karl Menges: Herders Bekehrung der Juden. Ein Beitrag zu vielen Beiträgen in der Geschichte der Emanzipation (459-470); Ernest A. Menze: Herder and the "Jewish Nation" - Continuity and Supersession (471-486).