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/ 22.06.2013
Friedhelm Boll / Krzysztof Ruchniewicz (Hrsg.)

"Nie mehr eine Politik über Polen hinweg". Willy Brandt und Polen

Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger 2010 (Willy-Brandt-Studien 4); 336 S.; 32,- €; ISBN 978-3-8012-0407-5
In einer Schlussbemerkung plädiert Bernd Faulenbach dafür, geschichtliche Erfahrungen und Leistungen in der Geschichte nicht nur zu deutlich zu machen, sondern auch die verschiedenen nationalen Erinnerungskulturen dafür zu öffnen. In diesem Sinne lässt sich der Band mit Beiträgen deutscher wie polnischer Autoren lesen, der auf eine gemeinsame Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie der Universitäten in Warschau und Breslau zurückgeht. Der berühmte Kniefall Brandts vor dem Denkmal des Warschauer Ghettoaufstands 1970 zeigt sich als sichtbarster Ausdruck einer Politik, mit der die (west-)deutsch-polnischen Beziehungen intensiviert und zugleich normalisiert werden sollten – und mit der zugleich den Deutschen ein neues Selbstverständnis eröffnet wurde, indem sie, so die Deutung von Robert Leicht, lernten, sich offen Schuld einzugestehen und die politischen Konsequenzen zu tragen. „Das hat die Deutschen aus dem Zwang einer furchtbaren Rechthaberei aus schlechtem Gewissen befreit.“ (312) Nach einem einleitenden Porträt Brandts setzen die Analysen in diesem Band allerdings schon 1966 ein, mit dem Beginn der von Brandt getragenen Entspannungspolitik. Diese sei auf keine festgelegte Position der damaligen polnischen Führung gestoßen, schreibt Wanda Jarząbek, und so sei der Beginn der Neuen Ostpolitik zu einem wichtigen Wendepunkt auch der Außenpolitik der VR Polen geworden. Im Mittelpunkt habe das Streben nach einer Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestanden, es entwickelten sich aber auch Hoffnungen und Erwartungen auf eine wirtschaftliche, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit sowie auf gesellschaftliche Kontakte. In weiteren Beiträgen werden u. a. das Problem der Entschädigung der polnischen NS-Opfer thematisiert sowie die Sicht der DDR und der Sowjetunion, aber auch der CDU/CSU-Opposition auf das neue deutsch-polnische Verhältnis. Hervorzuheben ist zudem der Beitrag von Bernd Rother über die Zurückhaltung des Entspannungspolitikers Brandt gegenüber der polnischen Oppositionsbewegung in den 80er-Jahren, „er sah in ihren Aktivitäten die Gefahr der Destabilisierung – und zwar der des Friedens, nicht der kommunistischen Herrschaft. [...] Aber etwas mehr an Gesinnungsethik hätte Brandts Ansehen in Polen gut getan“ (260).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.32.3134.212.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Friedhelm Boll / Krzysztof Ruchniewicz (Hrsg.): "Nie mehr eine Politik über Polen hinweg" Bonn: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/33432-nie-mehr-eine-politik-ueber-polen-hinweg_40004, veröffentlicht am 04.05.2011. Buch-Nr.: 40004 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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