/ 03.06.2013
Inge Viett
Nie war ich furchtloser. Autobiographie
Hamburg: Edition Nautilus 1996; 319 S.; 39,80 DM; ISBN 3-89401-270-6Viett hatte sich Anfang der 70er Jahre - aus der "Bewegung 2. Juni" kommend - der RAF angeschlossen. Nachdem sie einen Polizisten zum Invaliden geschossen hat, gibt sie den bewaffneten Kampf auf und siedelt 1982 in die DDR über. Nach der Wende 1990 wurde sie verhaftet. Heute denkt sie darüber: "Erst zehn Jahre später [...] wurde der Mann für mich zu einem realen Menschen[, ... der] in dem kurzen Moment unseres Zusammentreffens durch mich zu einer Existenz im Rollstuhl verdammt worden ist und nun täglich das Leben neu erringen muß. Erst da konnte ich tiefes Mitleid fühlen, weil ich mir sein Schicksal als gelähmter und abhängiger Mensch nahekommen ließ." (242) Aber hat dies Konsequenzen?
In ihrer Autobiographie schildert sie die Trostlosigkeit ihrer Kindheit in der bedrückenden Enge eines schleswig-holsteinischen Dorfes der 50er Jahre; die Zeit der Orientierungslosigkeit und Suche.
Dann, eigentlich zum Studium nach Berlin gekommen, taucht sie dort hinein in die Subkultur, aus der sich ihr Anschluß an die "Bewegung 2. Juni" vollzieht. Hier gibt das Buch Zeugnis der Rebellion von Teilen einer Generation, die sich gegen die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der Nachkriegs-Bundesrepublik auflehnt. Erwartungsgemäß liefert diese Autobiographie jedoch keine historische Analyse, sondern den Bericht einer Zeitzeugin über ihre Erlebnisse, die Zustände und Entscheidungsmechanismen dieser terroristischen Organisationen - einer Zeitzeugin, die im inneren Zirkel unterwegs war als Handlungsreisende "in Sachen Revolution", ein Mitglied des revolutionären Jet-set. "Wir haben ja dem Guerilla-Kampf die höchsten Weihen gegeben. Sich für ihn zu entscheiden, war die höchste Stufe moralischen und politischen Bewußtseins, der schärfste und endgültige Bruch mit den Interessen einer pervertierten Gesellschaft." (225)
Viett wurde im Januar 1997 nach Verbüßen der Hälfte ihrer 13jährigen Haft aus dem Gefängnis entlassen, wo sie ihre Biographie verfaßte.
Jule Endruweit (JE)
Dipl.-Politologin.
Rubrizierung: 2.37 | 2.1
Empfohlene Zitierweise: Jule Endruweit, Rezension zu: Inge Viett: Nie war ich furchtloser. Hamburg: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2875-nie-war-ich-furchtloser_3782, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 3782
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Dipl.-Politologin.
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