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/ 09.04.2015
Wladislaw Hedeler

Nikolai Bucharin – Stalins tragischer Opponent. Eine politische Biographie

Berlin: Matthes & Seitz 2015; 639 S.; 39,90 €; ISBN 978-3-95757-018-5
Das wissenschaftliche Interesse an Leben und Werk des sowjetischen Ökonomen und Revolutionärs Nikolai Bucharin verebbte so plötzlich und unvermittelt, wie es aufgebrochen war: Als Michail Gorbatschow gegen Ende der 1980er‑Jahre im Zuge seiner weitreichenden Reformen auch den einst von Josef Stalin zum Tode verurteilten Kritiker Bucharin rehabilitierte, wurde dieser zu einer Chiffre der Hoffnungen der Perestroika – „Gorbatschow ist ‚Bucharinist‘“ (538) war damals eine verbreitete Ansicht. Nachdem die Sowjetunion nach dem einmal losgetretenen Prozess aber völlig kollabierte, erledigte sich damit auch die Aufgabe, die unterschiedlichen Schattierungen und Schulen unter den Sowjetökonomen zu verstehen. Das heutige Verständnis der Theorie Bucharins beschränkt sich daher weitgehend auf das bereits in den 1920er‑Jahren verbreitete Stereotyp des „Rechtsabweichlers“ (12). Wladislaw Hedeler präsentiert in diesem Band seine über mehrere Jahrzehnte verfolgten Forschungen über Bucharin und zeichnet ein wesentlich differenzierteres Bild. Bucharin erscheint als ein engagierter Ökonom, der seine Theorie im Laufe seines Lebens mehrfach an die Herausforderungen der russischen Revolutionen angepasst hat, vom ultralinken Kommunisten zum vorsichtigen Verfechter eines privatwirtschaftlichen Parallelsektors, vom Lieblings‑ und Chefökonomen der Partei zum „Volksfeind“ wurde. Wie die meisten der Sowjetökonomen wurde Bucharin von zwei großen Bezugsproblemen umgetrieben: Einerseits ging es um die Frage nach den nötigen und möglichen Allianzen zwischen den relevanten Klassen, das heißt nach dem „richtigen Verhältnis der Diktatur des Proletariats zum überwiegend bäuerlichen Verbrauchermarkt“ (237). Andererseits handelte es sich um die schwierige Abwägung zwischen universaler und nationaler Revolution: Hatte der junge Bucharin „in der Weltrevolution noch die entscheidende Bedingung für den Sieg der Revolution in Russland“ (171) gesehen, veränderte sich seine Auffassung später ins Gegenteil: Die Verteidigung der Sowjetunion als institutioneller und ökonomischer Angelpunkt für die Weltrevolution erlangte für ihn oberste Priorität. Hedeler sammelt eine monumentale Anzahl von Quellen und Referenzen und zeichnet so ein sehr feines und zugängliches Bild von Bucharins politischem Wirken – und schließt damit eine wichtige Lücke auf dem Weg zu einer Erneuerung der sozialistischen politischen Ökonomie.
{FG}
Rubrizierung: 2.12.622.25 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Wladislaw Hedeler: Nikolai Bucharin – Stalins tragischer Opponent. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38275-nikolai-bucharin--stalins-tragischer-opponent_46528, veröffentlicht am 09.04.2015. Buch-Nr.: 46528 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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