Eine der Botschaften von Vertretern postmoderner Positionen lautet, wir hätten mit dem Ende der rationalitätsgesteuerten Moderne und dem Zerfall kollektiv geltender Ethiken die Ära eines unverfälschten Individualismus betreten, die nur eine minimalistische Moral zulasse. Zygmunt Bauman greift in seiner 1993 in London erschienenen Studie diese Debatte auf. Eine kritische Soziologie – so sein Credo – könne sich konstruktiv mit der postmodernen Diagnose auseinandersetzen, ohne zugleich deren impliziten Relativismus übernehmen zu müssen. In dieser Absicht entwirft Bauman eine Physiognomie der postmodernen moralischen Verfassung, die zwar das Ambivalente, Aporetische und Irrationale moralischen Handelns heute unterstreicht, zugleich aber betont, dass die substanziellen ethischen Postulate – nämlich „Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Balance zwischen friedlicher Kooperation und individueller Selbstbehauptung, Synchronisierung von individuellem Verhalten und kollektivem Wohl“ (13) – nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. In einer inspirierenden Diskussion alltagsnaher moralischer Konstellationen möchte Bauman Chancen einer Moralisierung des sozialen Lebens sichtbar machen – und dies gegen alle resignativen oder relativistischen Tendenzen. Voraussetzung einer derartigen Erneuerung des sozialmoralischen Potenzials ist für ihn indes die Zurückweisung jener typisch modernen Umgangsweisen mit moralischen Fragen, die stets auf die Etablierung allgemein geltender normativer Codes abzielen und mit diesem Universalisierungsanspruch eigentlich die autonomen, widerspenstigen und unkontrollierten Ursprünge der moralischen Urteilskraft eliminieren.