/ 18.06.2013
Detlev Claussen
Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie
Frankfurt a. M.: S. Fischer 2003; 479 S.; geb., 26,90 €; ISBN 3-10-010813-2Der Artist - so hat Adorno in einem Essay über Paul Valéry formuliert - sei Statthalter des gesellschaftlichen Gesamtsubjekts. Mit diesem Verständnis des ästhetischen Produktionsprozesses wendet sich Adorno explizit gegen eine Inthronisierung des Genies und deshalb ist es nicht ohne Risiko, wenn Claussen den Autor Adorno in diese Perspektive rückt und Goethe, den „Inbegriff gelungener Individualität" (15), als paradigmatische Figur eines Genies heranzieht. Allerdings ist sich Claussen der Problematik des Geniebegriffs bewusst. Der Verfasser, Adornoschüler und Professor für Soziologie an der Universität Hannover, verweist gleich eingangs auf eine der Kernaussagen der Kritischen Theorie, derzufolge das 20. Jahrhundert als das „Jahrhundert der Extreme" die Gestalt des Individuums irreversibel beschädigt habe (21). Der Blick auf dessen Biografie darf also nicht ignorieren, was Adorno in einem Brief aus dem Jahr 1942 notiert: „daß der Begriff des Lebens selber als einer aus sich selbst entfaltenden und sinnvollen Einheit gar keine Realität mehr hat" (18). Claussen möchte deshalb Adornos „Texte zum Sprechen bringen" (18), indem er „Leben und Werk Adornos in seinem Jahrhundert" zeigt (17) und beides durch „die Geschichte seiner Freundschaften" spiegelt (21). So entwickelt er in 7 Kapiteln ein enges Geflecht von persönlichen und intellektuellen Beziehungen zwischen Freunden und Bekannten, akademischen Konkurrenten und politischen Gegnern. Zwar folgen die biografischen Episoden auch einer chronologischen Ordnung, aber Claussen hat die einzelnen Kapitel thematisch so angelegt, dass sie unabhängig voneinander gelesen werden können. Das erfordert zwar vielfach Rückblenden beziehungsweise Vorgriffe, aber Claussen gelingt es über weite Strecken, die (zumeist in Briefform vorliegenden) „Zeugnisse[...] der Zeitgenossenschaft" (21) so auf das Werk Adornos zu beziehen, dass darin die Person Adornos als historisches Individuum erkennbarer wird.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.46 | 5.42
Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Detlev Claussen: Theodor W. Adorno. Frankfurt a. M.: 2003, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/19691-theodor-w-adorno_22921, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 22921
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
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