/ 09.06.2016

Anton Hügli / Janette Friedrich (Hrsg.)
Über Krise und Kritik/Crise et critique. Gasthrsg. Michael G. Festl, Florian Grosser, Dieter Thomä
Basel: Schwabe Verlag 2015 (Studia Philosophica 74/2015); 248 S.; brosch., 68,- €; ISBN 978-3-7965-3439-3„Krise und Kritik gehören zusammen.“ (18) Gerade der Begriff der Krise scheint gegenwärtig nahezu unausweichlich zu sein. Vor diesem Hintergrund unternehmen die Autor_innen den Versuch, ihn in seinem Wechselverhältnis zur Kritik theoretisch präzise zu fassen. Krise, so Anton Hügli und Janette Friedrich in ihrer Einstimmung, sei nicht gleich Katastrophe. Sie ist nicht ausweglos, drängt sich uns jedoch von außen auf, mitunter unerwartet, und fordert zur Reaktion, zur Tat heraus. Sie ist zweifelsohne eine Zeit des Übergangs und folglich mit Ungewissheit verbunden. „Hier tritt die Etymologie zutage, die hinter der ‚Krise’ ebenso wie hinter der ‚Kritik’ steckt und beide Begriffe verbindet [...]: Streiten, Scheiden, Entscheiden, Unterscheiden, Beurteilen.“ (12) Kritik ist dann so etwas wie eine selbstbewusste, selbstinduzierte Krise mit Blick auf das, was vorher nicht angezweifelt wurde. Bastian Ronge fokussiert in seinem Beitrag das Zusammenspiel von Krise und Kritik in der Ökonomie. Mit Blick auf die Schriften von Karl Marx und Adam Smith konstatiert er, dass alle Kritik an den Folgen der Wirtschafts‑ und Finanzkrise nach 2008 sowie an den sie ermöglichenden Tugenden folgenlos geblieben sei. Selbst Minimalforderungen, wie etwa die Spekulationssteuer auf Finanztransaktionen, seien nicht umsetzbar gewesen und so bleibe alles beim Alten: „Weder die Wirtschaftswissenschaften haben sich grundlegend verändert, noch die neoliberale Wirtschaftsordnung.“ (75) Insbesondere von Smith, aber auch von Marx lasse sich lernen, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Ökonomischen nicht an Experten delegiert werden dürfe, sondern Bestandteil der politischen Auseinandersetzung bleiben müsse. Es sei mithin der demokratische Prozess, dem Deutung, Bewertung und letztlich das Veranlassen von Veränderung zukomme. Katrin Meyer stellt in ihrem Aufsatz Krise und Kritik in den Kontext sozialer Beziehungen, wenn sie nach deren Funktion angesichts von Macht und Gewalt fragt. In einer kritischen Analyse demokratischer Herrschaft, die sich auf das Werk Hannah Arendts ebenso bezieht wie auf dasjenige Michel Foucaults, kommt sie zu einer wenig beruhigenden Einsicht: Demokratische Machtverhältnisse dienten letztlich dazu, „den einen Macht zu geben, um gegen andere umso effektiver Gewalt auszuüben“ (105). Schon Simone Weil, so Meyer, habe auf diese wechselseitige Verschränkung von asymmetrisch konzipierter Macht und Gewalt hingewiesen. Den Abschluss des Bandes bilden mehrere thematisch einschlägige Sammelrezensionen. Alle Beiträge gehen zurück auf das Symposium „Krise und Kritik“, das im Juni 2014 an der Universität St. Gallen stattgefunden hat.
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Rubrizierung: 5.1 | 5.33 | 5.34 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Anton Hügli / Janette Friedrich (Hrsg.): Über Krise und Kritik/Crise et critique. Basel: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39744-ueber-krise-und-kritikcrise-et-critique_48059, veröffentlicht am 09.06.2016. Buch-Nr.: 48059 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA