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/ 04.06.2013
Frank Böckelmann

Über Marx und Adorno. Schwierigkeiten der spätmarxistischen Theorie

Freiburg i. Br.: Ça ira 1998; 239 S.; 2., vom Autor durchges. Aufl.; 24,- DM; ISBN 3-924627-53-3
Marx hat in seiner berühmten elften These gegen Feuerbach bekanntlich gefordert, daß die Philosophen die Welt, anstatt sie nur zu interpretieren, verändern sollten. Adorno hingegen zieht in seinem Hauptwerk Negative Dialektik ein Jahrhundert später den Umkehrschluß: Nur weil die Philosophie den Zeitpunkt ihrer praktischen Verwirklichung versäumt habe, erhalte sie sich am Leben. In diesem Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis operiert die Arbeit Böckelmanns. Adornos resignativer Verzicht auf praktische Ansprüche seiner Theorie interpretiert er - gut marxistisch - auf der Folie gesellschaftlicher Veränderungen, auf welche die Marxsche Revolutionslehre nicht länger orthodox anzuwenden sei. Im ersten Teil über Marx (45-141) rekonstruiert er dessen Theorie als eine "kritische Analyse aus Praxis, als Praxis und für Praxis" (10), die sich selbst als materiellen Faktor in dem von ihr diagnostizierten Prozeß verstehe: "Die ökonomischen Prognosen sind praktische Mitbestimmung des Gegenwärtigen, Werdenden" (135). Während Marx also beide Forderungen einlöst, durch die Horkheimer kritische von traditioneller Theorie unterschieden sieht, indem sie nicht nur auf die eigenen Entstehungsbedingungen reflektiert, sondern auch ihren Verwendungszusammenhang antizipiert, gibt Adorno diesen zweiten Anspruch preis, wie Böckelmann im zweiten Abschnitt (143-227) zeigt. Die dialektische Kritik münde nicht mehr ein in eine positiv bestimmte Zukunft, sondern bleibe negativ auf die gegenwärtigen Verhältnisse bezogen, deren Totalität sie nicht mehr transzendieren könne. Mit diesem Praxisverzicht eliminiere Adorno jedoch einen integralen Bestandteil der Marxschen Theorie, ohne diese "Diskontinuität Kritischer Theorie" (207) explizit auszuweisen. Gerade daß Adorno sich aber nicht ausdrücklich von Marx distanziere, sondern dessen Kategorien auf unvergleichliche Sozialstrukturen anwende, kritisiert der Autor: "Wenn die Sternstunde, in der die Theorie praktisch wurde, verstrichen ist, sollte man nicht auf der Kontinuität der Dialektik von Hegel über Marx bis zur Gegenwart beharren." (16) Bei der Schrift handelt es sich um eine überarbeitete und um eine ausführliche Einleitung (19-43) sowie einen Anhang (209-227) erweiterte Neuauflage eines Buches, das der Autor 1972 unter dem Titel "Schwierigkeiten der spätmarxistischen Theorie" veröffentlicht hatte. Auch wenn Böckelmann sich im Vorwort um aktuelle Bezüge bemüht, liest sich sein Werk in weiten Teilen als Spiegel der in der Studentenbewegung ausgetragenen Theoriedebatte zwischen linkem Dogmatismus und immanenter marxistischer Kritik. Wenn aber inzwischen, wie Böckelmann selbst im Vorwort schreibt, die "Marxsche Ökonomiekritik als Relikt des 19. Jahrhunderts" begraben worden ist, eine "Renaissance des Marxismus" aber selbst angesichts der "nahezu hellsichtigen Wendungen" (9), mit denen Marx und Engels bereits 1848 die Prozesse der ökonomischen Globalisierung beschrieben hätten, nicht zu erwarten steht, dann stellt sich die Frage nach der Berechtigung einer Neuauflage, die vor allem eines zeigt, nämlich daß Böckelmanns Studie jenem Schicksal selbst anheim fällt, das sie der Marxschen Theorie diagnostiziert: nämlich von der Entwicklung überholt und daher von lediglich historischem Interesse zu sein.
Florian Weber (FW)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.455.33 Empfohlene Zitierweise: Florian Weber, Rezension zu: Frank Böckelmann: Über Marx und Adorno. Freiburg i. Br.: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/6060-ueber-marx-und-adorno_8241, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 8241 Rezension drucken
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