/ 15.09.2016
Karl Hepfer
Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft
Bielefeld: transcript Verlag 2015 (Edition Moderne Postmoderne); 189 S.; 24,99 €; ISBN 978-3-8376-3102-9Verschwörer haben Absichten. Nicht der besondere Charakter ihrer „Theorien“, sondern die hinter den Argumenten stehenden Motive von Ideologen, Diktatoren und Verschwörungszirkeln lassen erst die absichtsvolle Verdrehung, ideologische Armierung oder reduktionistische Pointierung ihrer Wirklichkeitsbeschreibungen sichtbar werden. Verschwörer gibt es nur im Plural, sie müssen sich in ihren Zielen einig werden – ein Vorgang, der auf dem Ritual der Bewahrung eines gemeinsamen Heilsbesitzes oder einer gemeinsam für wahr befundenen Sicht der Dinge oder aber auf einer bewussten Verfälschung von Tatsachen beruht. Nicht nur ihre ideologischen Hervorbringungen (Erzählungen), sondern ihre Motive und deren Durchsetzungschancen in der Öffentlichkeit sind daher bedeutsam. Der Autor bietet eine anregende Untersuchung der philosophischen Eigenheiten von Verschwörungstheorien. Ihm geht es um eine Klassifikation ihrer „Baubestandteile“ in inhaltlicher wie praktischer Hinsicht, um eine Beschreibung ihrer theoretischen Grundstruktur und die systematische Frage, wie diese unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit formen. Verschwörungstheorien, so der Autor, sind das Produkt von Krisenzeiten, wenn traditionelle Deutungsmuster nicht mehr greifen. In der Moderne sei diese Krise auf Dauer gestellt: Die permanente Virtualisierung unserer Subjektivität führe zu einem Problem der Autorisierung richtiger Weltsichten. Die wachsende Unübersichtlichkeit fördere den Rückzug auf einfache Welterklärungen. Trotz der sehr unterschiedlichen Beispiele, die kurzweilig, manchmal etwas zu salopp geschildert werden („Illuminaten“, „Stammheim“, „Nine/Eleven“, „Bielefeld“, „Mondlandung“ etc.), sind die aus ihnen gezogenen Schlüsse für ein besseres Verständnis unseres allgemeinen Gebrauchs von „Theorien“ nicht ganz plausibel. Denn Theorien sind eben nicht nur vereinfachte Modelle der Wirklichkeit, sondern beruhen auf einem notwendigen Vorgriff auf die Wirklichkeit (theoretische Wertbeziehung, Max Weber), der weder eine Verfremdung des Gegenstandes und schon gar keine bewusste Ideologisierung der Weltsicht ist (daher passt der von Hepfer gezogene Vergleich zur Religion nicht). Es geht nicht nur um das Verhältnis von fact und fiction, von Geschichte und Geschichten (spätestens seit Manzoni auf höchstem Niveau reflektiert), es geht vor allem um die Aufdeckung der Absicht, die hinter einer bestimmten Geschichte lauert (so etwa klassisch bei E. T. A. Hoffmann: „Des Vetters Eckfenster“). Jede Wirklichkeitsbeschreibung ist immer mehr als die bloß empirische Beschreibung von Gegenständen oder Vorgängen. Jede Zeit schreibt ihre eigene Geschichte des Mittelalters, aber niemand käme auf die Idee, vergangenen Darstellungen das Etikett umzuhängen, sie seien Verschwörungstheorien.
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Rubrizierung: 5.42 | 2.23 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Georg Kamphausen, Rezension zu: Karl Hepfer: Verschwörungstheorien. Bielefeld: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/40067-verschwoerungstheorien_48380, veröffentlicht am 15.09.2016. Buch-Nr.: 48380 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA