/ 21.06.2013
Dittmar Dahlmann / Pascal Trees (Hrsg.)
Von Duma zu Duma. Hundert Jahre russischer Parlamentarismus
Göttingen: V&R unipress 2009 (Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte 4); 442 S.; geb., 49,90 €; ISBN 978-3-89971-488-3Schon der Untertitel des Sammelbandes einer Tagung, die 2006 an der Universität Bonn abgehalten wurde, macht stutzig. In Russland soll es schon hundert Jahre Parlamentarismus geben? Richtig ist, dass am 23. April 1906 das russische Zarenreich unter Nikolai II. seine erste Volksvertretung – die russische Duma – bekam. Für das Zarenreich war die Errichtung eines Parlaments ein qualitativer Sprung. „Schon die schiere Existenz der Duma veränderte Ansichten und Haltungen, brachte neue Formen von Assoziationen hervor und initiierte viele kleine Veränderungen, die im Einzelnen nicht immer leicht zu fassen sind, die insgesamt aber einen tiefgreifenden Wandel im Politikstil und in der Wahrnehmung politischer Vorgänge mit sich brachte.“ (283). Doch bedeutet die alleinige Existenz eines Parlaments, dass in Russland Parlamentarismus und Demokratie funktionieren? Und wie wirkte sich die siebzigjährige sowjetische Diktatur auf das politische System heute aus? Einen hundertjährigen Parlamentarismus, wie der Untertitel des Buches suggeriert, gibt es nicht. Schon die Auswahl der Aufsätze macht dies offenkundig: Nur ein Beitrag beschäftigt sich mit der postsowjetischen Duma ab 1993. Alle anderen Aufsätze widmen sich der Zeit von 1906 bis zum Ausbruch der Oktoberrevolution. In Russland scheiterte zweimal die Einführung des Parlamentarismus: 1917 mit der Oktoberrevolution und 1993 mit der staatsrechtlichen Konsolidierung des russischen Präsidenten. Das konzeptionelle Defizit – bei guter wissenschaftlicher Qualität der einzelnen Beiträge – liegt darin, dass kaum eine Brücke zwischen der ersten und der heutigen Duma geschlagen wird. „Wahrscheinlich hat eine wirkliche Chance zur Umwandlung Russlands in eine vom Parlament regierte Republik nicht bestanden“ (366), schreibt Gerhard Simon. Warum dies so ist, und welche Auswirkungen die Sowjetzeit darauf hatte, wird im Sammelband nicht ausreichend diskutiert.
Wilhelm Johann Siemers (SIE)
Dipl.-Politologe, Journalist, Redakteur der Sprachlernzeitschrift vitamin de, Florenz.
Rubrizierung: 2.62 | 2.2 | 2.21 | 2.22 | 2.311 | 2.4 | 2.61
Empfohlene Zitierweise: Wilhelm Johann Siemers, Rezension zu: Dittmar Dahlmann / Pascal Trees (Hrsg.): Von Duma zu Duma. Göttingen: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/29581-von-duma-zu-duma_35020, veröffentlicht am 26.08.2009.
Buch-Nr.: 35020
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Dipl.-Politologe, Journalist, Redakteur der Sprachlernzeitschrift vitamin de, Florenz.
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