/ 05.06.2013
Eckhard Jesse / Konrad Löw (Hrsg.)
Wahlen in Deutschland
Berlin: Duncker & Humblot 1998 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung 60); 248 S.; 78,- DM; ISBN 3-428-09616-9Überarbeitete Vorträge des neunten Symposiums der Fachgruppe Politik der Gesellschaft für Deutschlandforschung im November 1996 in Berlin. Es sind drei inhaltliche Abschnitte zu erkennen. Sie könnten heißen: "Wahlsystemproblematik", "Wahlen in deutschen Diktaturen" und "Aktuelle Probleme des bundesdeutschen Wahlrechts". Zuerst kommen zwei deutsche Wahlsystemforscher zu Wort, die gemeinhin als die Antipoden in der Wahlsystemfrage gelten, obwohl sich ihre Bewertungskriterien im Grunde kaum unterscheiden. Kaltefleiter liefert zunächst einen Abriß des etwa hundertjährigen Streits über das Wahlrecht, gefolgt von einem Plädoyer für seine funktionale Ausgestaltung. Es sollte sich einerseits an den jeweiligen Konfliktlinien eines Staates ausrichten, andererseits aber auch zu einem Parteiensystem führen, das eine handlungsfähige Regierung ermöglicht. So zeige das Beispiel Südafrikas, daß das Verhältniswahlrecht erfolgreich zur Integration heterogener Bevölkerungsgruppen beitragen könne. Auch Nohlen formuliert "Funktionsanforderungen" für die verschiedenen Wahlsystemtypen: Repräsentation, Konzentration und Partizipation. Doch anders als Kaltefleiter bewertet Nohlen die Wahlsystemtypen mehr von ihrer theoretischen Leistungsfähigkeit her. So bekommt nur der Typ der personalisierten Verhältniswahl bei allen drei Funktionsanforderungen ein "positiv" (66), womit der Autor seine generelle Fürsprache für das bundesdeutsche Wahlsystem unterstreicht.
Im zweiten inhaltlichen Abschnitt zeigt Jung die Instrumentalisierung von Wahlen im Dritten Reich auf: Sie waren "nur noch Zerrbilder dessen, was in einer Demokratie unter diesen Partizipationsformen verstanden wird" (91). Anschließend vergleicht Löw NS-Wahlen mit den Wahlen und Abstimmungen in der SBZ und in der DDR. Er stellt frappierende Gemeinsamkeiten fest, z. B. bei den Volksbefragungen der Jahre 1938 und 1949. Kloth weist in seinem Beitrag nach, daß die letzte DDR-Wahlrechtsreform vor der Wende vor allem von internationalem Prestigedenken geprägt war und nicht auf eine tatsächliche Partizipation des Volkes abzielte. Bücking äußert im dritten inhaltlichen Abschnitt harsche Kritik an den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Grundmandatsklausel und zu Überhangmandaten. Es neige dazu, "mit geradezu bombastischem Aufwand Postulate zu formulieren, deren konkrete Einhaltung in ihm zur Entscheidung vorgelegten Wahlrechtsfällen nicht einmal eine Entscheidung in der Sache wert ist" (215). So betone das Gericht einerseits die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, andererseits erkläre es jedoch die Entstehung von Überhangmandaten, die vielleicht sogar vom Wähler gewollt sei, für verfassungswidrig (216). Singhammer propagiert eine Diskussion über familienfördernde Maßnahmen, u. a. ein Familienwahlrecht, die der demographischen Entwicklung der Gesellschaft entgegensteuern solle. Falters wahlsoziologische Analyse liefert u. a. die überraschende Erkenntnis, daß nur 14 % der Arbeiter im Osten die PDS gewählt haben.
Inhalt: Eckhard Jesse: Maßstäbe zur Bestimmung demokratischer Wahlen (11-35); Werner Kaltefleiter: Die Wirkungsweise von Wahlsystemen (37-49); Dieter Nohlen: Wahlsysteme im Vergleich (51-67); Otmar Jung: Wahlen und Abstimmungen in Dritten Reich (69-97); Konrad Löw: Wahlen und Abstimmungen in der SBZ und in der DDR (99-116); Hans Michael Kloth: Die letzte DDR-Wahlrechtsreform von 1988/89 (117-140); Hans-Jörg Bücking: Der Streit um Grundmandatsklausel und Überhangmandate (141-216); Johannes Singhammer: Das allgemeine Wahlrecht in der Diskussion (217-222); Jürgen W. Falter: Das Wahlverhalten in den alten und den neuen Bundesländern bei der Bundestagswahl 1994 (223-235).
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.332 | 2.312 | 2.313 | 2.22
Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Eckhard Jesse / Konrad Löw (Hrsg.): Wahlen in Deutschland Berlin: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/7207-wahlen-in-deutschland_9627, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 9627
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M. A., Politikwissenschaftler.
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