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/ 14.07.2016
Vanda Fiorillo / Michael Kahlo (Hrsg.), in Zusammenarbeit mit Brigitte Kelker, Paolo Becchi, Giulio M. Chiodi, Christoph Enders

Wege zur Menschenwürde. Ein deutsch-italienischer Dialog in memoriam Mario A. Cattaneo

Münster: mentis 2015 (fundamenta iuris 12); 489 S.; kart., 46,- €; ISBN 978-3-89785-490-1
Anlässlich des fünften Todestages des italienischen Rechtsphilosophen Mario A. Cattaneo gehen die Beitragsautoren dem Umstand nach, dass die Menschenwürde heute zwar als eine ebenso zentrale wie wirkmächtige Kategorie europäischer Rechtsordnungen anzusehen, ihre konsequente Begründung dabei aber nach wie vor „nicht auszumachen“ (9) sei. Dass eine solche Definition notwendig ist, zeigen – allein schon auf deutscher Ebene – die Debatten um den Abschuss ziviler Verkehrsflugzeuge bei Terrorverdacht zur Gefahrenabwehr oder jene um die sogenannte Rettungsfolter. In einer ausführlichen ideengeschichtlichen Retrospektive zeichnet Giulio M. Chiodi die Konturen des Begriffes der Menschenwürde bei Giovanni Pico della Mirandola nach. Mit seiner 1486 erschienenen „Oratio de hominis dignitate“ habe dieser in der Hochphase des Humanismus „den größten Beitrag dazu geleistet [...], daß der Begriff der Menschenwürde überhaupt seinen Weg in die Geisteswelt der Neuzeit gefunden“ (14) habe. Kennzeichnend für das Menschenbild des Humanismus sei dessen Dualität – einerseits werde die menschliche Vernunft hervorgehoben, andererseits sei diese auch an eine göttliche Heilsvorstellung gebunden. Vor diesem Hintergrund wohne Würde all jenem Verhalten inne, das nicht bloß „aus persönlichem Interesse oder bloßer utilitas“ (61) veranlasst sei. Der Mensch ist demnach als rein rationaler, technischer oder gar kapitalistisch‑ökonomischer Entwurf unvollständig. Michael Kahlo zeigt in seinem Beitrag dann die ganz aktuelle, die ebenso drängende, problematische wie auch beunruhigende Dimension der Debatte, die eine Verständigung über das, was Menschenwürde materiell rechtlich ausmachen sollte, umso dringender geboten erscheinen lässt. Die Androhung und Durchführung sogenannter Rettungsfolter, wie sie nach 9/11 im Auftrage der USA oder in Deutschland im sogenannten Fall Daschner aufgetreten sei, sei insofern schon ein Skandal, als ein breiter Konsens darüber herrsche, wonach jegliche staatlich veranlasste Folter eine „Missachtung der Menschenwürde“ (369) darstelle und somit als signifikanter Rechtsbruch zu beurteilen sei. Landläufig verwendet Szenarien, die derartige Praktiken rechtfertigen sollen – etwa das der ‚ticking bomb’ – seien aus grundlegenden heuristischen Erwägungen heraus nicht geeignet, die diesbezügliche Reflexion anzuleiten. Auch die ‚ticking bomb’ sei ein Konstrukt, dem man folgen könne, aber eben nicht müsse. Was indes unbestreitbar bleibe, sei, so Kahlo, die „absolute Garantie der Menschenwürde“ (392) durch das deutsche Grundgesetz. Eine der wesentlichen Errungenschaften moderner Staatlichkeit sei es, so Benno Zabel, im Zusammenhang mit strafrechtlichen Praktiken ausgeübte „Formen des Zwangs zu marginalisieren“ (427). Keine Demokratie der Gegenwart kann es sich leisten, diese Errungenschaft auf das Spiel zu setzen.
{LEM}
Rubrizierung: 5.15.332.32.322.612.21 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Vanda Fiorillo / Michael Kahlo (Hrsg.), in Zusammenarbeit mit Brigitte Kelker, Paolo Becchi, Giulio M. Chiodi, Christoph Enders: Wege zur Menschenwürde. Münster: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39820-wege-zur-menschenwuerde_46051, veröffentlicht am 14.07.2016. Buch-Nr.: 46051 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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