Volker Kronenberg (Hrsg.): Schwarz-Grün. Erfahrungen und Perspektiven
Schwarz-grüne Koalitionen galten lange als unvorstellbar, geradezu als „etwas Exotisches“. Mittlerweile sind sie aber „längst politische Realität“ (2) und auch ein denkbares Modell für die Bundesebene. Die aktuellen Umfragen deuten darauf hin, dass nach der Bundestagswahl 2017 Schwarz-Grün das einzige mögliche Zwei-Parteien-Format jenseits einer Großen Koalition sein könnte.
Schwarz-grüne Koalitionen galten lange als unvorstellbar, geradezu als „etwas Exotisches“. Mittlerweile sind sie aber „längst politische Realität“ (2) und auch ein denkbares Modell für die Bundesebene. Die aktuellen Umfragen deuten darauf hin, dass nach der Bundestagswahl 2017 Schwarz-Grün das einzige mögliche Zwei-Parteien-Format jenseits einer Großen Koalition sein könnte. Vor diesem Hintergrund ist ein Buch über die „Erfahrungen und Perspektiven“ von Schwarz-Grün naheliegend.
Der von Volker Kronenberg herausgegebene Sammelband geht auf das im Juni 2015 durchgeführte Kolloquium „Das deutsche Parteiensystem im Wandel: Schwarz-Grün. Erfahrungen und Perspektiven“ zurück. Das hat zum einen den Vorteil, dass das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird, aber zum anderen auch den Nachteil, dass die Aufsätze (oft) auf dem Stand von mehr als zwei Jahre vor der Bundestagswahl 2017 sind. Es konnten also weder die Situation infolge der Flüchtlingsdebatte noch zwei neuartige, erst im Frühjahr 2016 gebildete Landesregierungen – Grün-Schwarz in Baden-Württemberg und die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt – berücksichtigt werden. Insofern war der Sammelband schon bei seinem Erscheinen nicht mehr gänzlich up to date; das sollte bei der Lektüre berücksichtigt werden.
In elf Beiträgen, die sowohl dezidiert wissenschaftliche Analysen als auch eher essayistische Texte umfassen, wird das Thema aus drei Perspektiven beleuchtet: Zunächst widmen sich Eckhard Jesse mit einem Blick auf das Parteiensystem und Saskia Richter mit der Frage, ob die Grünen „[e]ine bürgerliche Partei“ (23) sind, den Grundlagen. Jesse unterbreitet zwei interessante Vorschläge für die „Systematisierung der Koalitionstypen“ (16) – zum einen die Unterscheidung zwischen einem lagerinternen Zweierbündnis, einem lagerinternen Dreierbündnis, einem lagerexternen Zweierbündnis und einem lagerexternen Dreierbündnis sowie zum anderen die Einteilung von Koalitionen in „1. arithmetisch und politisch möglich; 2. arithmetisch möglich, politisch nicht; 3. politisch möglich, arithmetisch nicht; 4. politisch und arithmetisch nicht möglich“ (17). Die Chancen für Schwarz-Grün schätzt er verhalten ein: Eine solche Koalition sei „kein Wunschbündnis [...]. Die großen Hoffnungen, die sich manche von einem solchen Bündnis erwarten, könnten ohnehin schnell enttäuscht sein“ (21).
Die wenige Wochen nach dem Kolloquium verstorbene Saskia Richter, die bei der schwierigen Definition von Bürgerlichkeit „vor allem auf das Engagement für die Gemeinschaft“ abhob, arbeitete Gemeinsamkeiten der beiden Parteien heraus: „Im Verständnis von Bürgertum als jener Gruppe Menschen, die sich aktiv in die Gesellschaft einbringen und sich für diese engagieren, eint Bündnis 90/Die Grünen und Union heute mehr als sie trennt“ (29). Diese größer gewordene Nähe macht schwarz-grüne beziehungsweise grün-schwarze Koalitionen überhaupt erst möglich.
Mit den bisherigen Erfahrungen dieser Regierungsformation beschäftigen sich fünf Beiträge. Zunächst untersucht Christoph Weckenbrock in einer fundierten Analyse die Koalitionen auf der kommunalen Ebene und kommt zu interessanten Befunden. Erstens diene „das ‚Feindbild SPD‘ als Klammer für den Erhalt des Bündnisses“ (38). Zweitens sei „das Vorhandensein eines stabilen, von personellen Fluktuationen weitgehend verschont bleibenden, strategischen Zentrums, dem es gelingt, schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten intern zu lösen“ (41), wichtig für die Arbeit der Koalition. Und drittens hänge die Stabilität der Bündnisse auch von dem als „Dulderrolle“ (43) beschriebenen Entgegenkommen der CDU gegenüber den Grünen ab.
Zu analogen Befunden kommt Roland Sturm mit Blick auf die bisherige Koalitionspolitik in Hamburg, Hessen und dem Saarland (vgl. 57). Intensiver mit Hessen beschäftigt sich Hubert Kleinert. Den Umstand, dass ausgerechnet die als sehr links geltenden hessischen Grünen die „Pfadfinder [...] für einen Weg, der dann womöglich auch für die Grünen im Bund nach 2017 ein Vorbild werden könnte“ (71), sind, führt Kleinert auf sechs Veränderungen seit den 1990er-Jahren zurück: So seien beispielsweise die Grünen „pragmatischer geworden“ (62) und auch in der CDU habe ein „Generationswechsel“ stattgefunden, denn die jüngeren Christdemokraten „schleppen längst nicht mehr das Gepäck des ‚Kulturkampfs‘ der 1970er Jahre mit sich“ (63).
Dass ein schwarz-grünes Bündnis aber auf der Bundesebene noch keine ausgemachte Sache ist, betont Thomas Petersen: „Insgesamt betrachtet geben die Grünen-Anhänger [...] ein zwiespältiges Bild ab: Während sie sich selbst mehr denn je in der Mitte des politischen Spektrums einordnen, haben sie sich in zentralen inhaltlichen Fragen eindeutig wieder der linken Seite des politischen Spektrums angenähert“ (83). Dieses Paradoxon spricht gegen Schwarz-Grün. Der Befund veranlasst zu der Frage, ob eine solche Koalition weniger der Favorit der betroffenen Parteien ist, sondern vielmehr nur der „Medienliebling“ (85), wie Caja Thimm schreibt. Sie arbeitet in ihrer methodisch fundierten Analyse der Medienberichterstattung drei Frames heraus: „Schwarz-Grün als lokales Erfolgsmodell“ (92), „Merkel-Agenda Schwarz-Grün“ (93) und „Schwarz-Grün als Risiko für die Grünen“ (95).
Mit den Perspektiven für Schwarz-Grün bei der Bundestagswahl 2017 beschäftigen sich Lothar Probst, Volker Best, Bastian Scholz und Frank Decker. Gegen ein solches Bündnis spricht für Best, „dass Schwarz-Grün keine wirklich von der Großen Koalition unterscheidbare Politik machen würde“ (129). Eine andere Position nimmt Decker ein, der zwar von „Experimente[n] mit ungewissem Ausgang“ (157) spricht, aber darauf hinweist, dass Schwarz-Grün „der Gefahr einer Erstarrung der Regierungsverhältnisse entgegenwirken [könne], die uns das österreichische Beispiel mahnend vor Augen hält“ (157). Es spricht also einiges für und einiges gegen Schwarz-Grün nach der Bundestagswahl 2017.
Repräsentation und Parlamentarismus
Aus der Annotierten Bibliografie
Volker Kronenberg / Christoph Weckenbrock (Hrsg.)
Schwarz-Grün. Die Debatte
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011; 465 S.; brosch., 24,95 €; ISBN 978-3-531-18413-5
Trotz des Scheiterns der ersten schwarz-grünen Landesregierung in Hamburg und des (im Band natürlich noch nicht berücksichtigten) Endes der ersten Jamaika-Koalition im Saarland ist die Debatte um Schwarz-Grün weiter in vollem Gange. Der Band versammelt fast 40 Beiträge unterschiedlichsten Charakters zu dieser Diskussion
Niko Switek
Bündnis 90/Die Grünen. Koalitionsentscheidungen in den Ländern
Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015 (Die politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland); 392 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-8329-5385-0
Diss. Duisburg‑Essen; Begutachtung: K.‑R. Korte. – Am Beispiel der Grünen, die auf Länderebene derzeit mit allen Akteuren des fluiden Fünfparteiensystems regieren, nimmt Niko Switek die „Bedeutung innerparteilicher Dynamiken für die Koalitionsbildung“ (15) ins Visier.
Volker Best
Koalitionssignale bei Landtagswahlen. Eine empirische Analyse von 1990 bis 2012
Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015 (Parteien und Wahlen 9); 549 S.; brosch., 98,- €; ISBN 978-3-8487-1974-7
Politikwiss. Diss. Bonn; Begutachtung: F. Decker, V. Kronenberg. – Volker Best verfolgt mit der „systematische[n] Erfassung der Koalitionssignale auf Länderebene“ ein ehrgeiziges Ziel, wofür er „erstmals eine umfassende und differenzierte Typologie entwickelt“ (29). Auf die Sichtung des theoretischen Forschungsstands zu Koalitionsbildung und ‑signalen folgt ein Abriss der Entwicklung der Parteiensysteme und Koalitionsbildungen in den einzelnen Bundesländern.
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