Moshe Zuckermann: Der allgegenwärtige Antisemit oder die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit
Ist Antizionismus gleichzusetzen mit Antisemitismus? Ist Kritik an Israels Nahostpolitik gleichzusetzen mit Antizionismus? Oder gar mit Antisemitismus? Nein, sagt ganz entschieden der in Israel geborene Historiker Moshe Zuckermann. Er wehrt sich dagegen, Kritik an der Politik Israels mit dem Antisemitismus zu verbinden. Für ihn seien die Realitätswahrnehmungen aus dem Ruder gelaufen und mündeten schlicht in eine Realitätsverweigerung, schreibt Rezensent Arno Mohr. Hiergegen wolle Zuckermann mit seiner Streitschrift anschreiben.
Wer – als Israeli – Antisemitismus aufs Schärfste verurteilt und gleichzeitig die israelische Palästinenserpolitik ebenso gnadenlos verurteilt, lebt, als kritischer Geist in Israel, risikoreich, geradezu pariahaft. Wer Nein zum Antisemitismus sagt, muss Ja zur Politik Israels bezüglich der Palästinenser sagen. – Das ist in Israel, gerade aber auch in Deutschland gleichsam ein ehernes Gesetz, dessen Übertretung zu den schlimmsten Befürchtungen veranlasst und demnach unbarmherzig angewendet wird. In dieser Lage befinden sich in erster Linie linke jüdische Kritiker. Einer von ihnen ist der Historiker Moshe Zuckermann.
Zuckermann, Spross von polnisch-jüdischen Holocaustüberlebenden, hat lange an der Universität in Tel Aviv gelehrt. Susann Witt-Stahl bezeichnet ihn in dem das Buch abrundenden Beitrag als Anhänger der Kritischen Theorie (er hatte in Frankfurt studiert), der sich der Aufgabe gestellt habe, die jüdische Katastrophe nicht „zionistisch-partikulär“, sondern „universalistisch“ (227) zu erfassen, um daraus neue Rezeptionsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Autorin spricht von Diffamierungen, Verbalinjurien, denen sich Zuckermann in Deutschland ausgesetzt sehe, die nur an „‚antiisraelischen Stammtischen‘ Gehör fänden und dem man nicht mehr „zugestehe“, in seinem „eigenen Lande noch ‚unangefochten lehren und publizieren‘“ (228) zu können. Zuckermann sei ein Repräsentant eines humanistischen Judentums, das sich dazu aufgeschwungen habe, „wahre Individualität zu leben“ und „eine Mission anzutreten“, „der eine Menschheit folgen soll, die ‚ganz fein, ganz zart, ganz liebevoll sein‘ (Peter Altenberg)“ (238) werde. Worin besteht nun diese ‚Mission‘ Zuckermanns?
Der israelisch-palästinensische Konflikt ist für Zuckermann jener reale Kristallisationspunkt, der seiner Ansicht nach eine Debattenkultur entstehen ließ, in welcher ressentimentgeladene Räsonnements alles, sachliche Analysen hingegen nichts sind: ein „Tollhaus neuralgischer Befindlichkeiten“, wie er es nennt. In diesem ist die Benebelung der Geister, insbesondere der kleineren und der Wichtigtuer, durch furienhaften Gebrauch von ‚Anti-ismen‘ wie Antisemitismus oder Antizionismus zu einer gefährlichen Melange hochpolitischer Gesinnungen denaturiert. Erstaunliche Wendungen finden statt: Linke werden zu Rechten, diese geben „sich den Anschein der Liberalität“. Wo ‚Politik‘ im Spiele ist und die Hauptrolle einnimmt, sind Unterscheidungen und Abstufungen nicht mehr gefragt; solches Suchen geht unter: Ist Antizionismus gleichzusetzen mit Antisemitismus? Ist Kritik an Israels Nahostpolitik gleichzusetzen mit Antizionismus? Oder gar mit Antisemitismus? Nein, sagt ganz entschieden Zuckermann, denn die Realitätswahrnehmungen seien völlig aus dem Ruder gelaufen und mündeten schlicht in eine Realitätsverweigerung. Der Autor, ein Jahr nach Gründung des Staates Israel dort geboren, fragt sich, wie es möglich sei, dass sich Deutsche mit Israel solidarisierten, das doch seit „mindestens“ 50 Jahren die Palästinenser drangsaliere und unterdrücke. Kritisiert man diese Politik, gerät man sogleich in die Schublade des Antisemitismus oder in die des Israelhasses oder in diejenige des „sich selbst hassenden Juden“. Das ist der schizophrene ideenpolitische Sachstand. Und gegen diesen will Zuckermann anschreiben, deswegen auch dieses Buch.
In einer persönlichen Notiz sagt er am Ende seines Vorworts, dass er kein Zionist sei, wenn ein solcher nur derjenige ist, der mit der offiziellen Politik Israels konform geht. Er sei aber auch kein Antizionist in dem Sinne, dass die Welt getrost auf den Zionismus hätte verzichten können. Das subjektive Empfinden, das sich aus eigenen Erfahrungen und eigenem Erleben speist – wie beim Autor der Fall – kreuzt sich in der Analyse zwangsläufig mit Objektivitätsansprüchen und -imperativen, die zur Geltung gebracht werden wollen beziehungsweise denen man sich zu unterwerfen hat. Kleingeistigen Zweiflern, die in diesem Hiatus die Quelle von Voreingenommenheit und Parteinahme erblicken, werden von Zuckermann eines Besseren belehrt, da er die Libertät des Forschenden in die Waagschale wirft und sich vorgenommen hat, so den Minenfeldern der Frontverläufe zu trotzen. Ehrlicherweise muss Zuckermann eingestehen: „Man hat es nur nicht leicht“ (alle Zitate aus dem Vorwort, 7 ff.).
In den ersten Abschnitten zeigt sich freilich, dass der Essay alles andere als leichtfüßig daherkommt. So erscheint es nicht ganz einfach, Zuckermanns einleitenden Anmerkungen zur Dialektik von Holocaust und Holocaust-Erinnerung zu folgen. Er bestätigt zwar, dass historisches Bewusstsein aus der Umarmung durch das Moment des Instrumentellen sich nicht zu entziehen vermag. Ferner sieht er aber auch, dass sich so etwas wie ‚falsche‘ Instrumentalisierung in Ideologie ummünzen lasse, wenn heteronome Interessen das Benannte – in diesem Fall der Holocaust – so eindimensional wahrnehmen, dass es bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet wird. Dieses Unkenntlichmachen ist das Schicksal des Holocausts in der Erinnerungspolitik: Der Begriff und die dahinterstehenden Strukturen, Prozesse und Methoden werden qua Präzedenzlosigkeit namenlos, unbestimmt, fragwürdig und ideologisch vereinnahmt. Zuckermann macht es dem ‚Erinnerer‘ nicht leicht, den richtigen Standort einzunehmen, von dem aus dieser eine adäquat zu nennende Erinnerungsleistung aufzubringen imstande sei.
Der Autor nimmt sich als erstes Israel vor. Es ist die jüdische Diaspora, die das eigentliche Motiv für die Gründung des Staates Israel gewesen sei, sozusagen als „das negative Abziehbild des ‚diasporischen Juden‘“ (29).
Die Geburtsstunde des „Judenstaates“ bestand aber nicht in der davor liegenden Eliminierung der Diaspora, sondern in der Shoah. So stellt Zuckermann zwei provokative Fragen: „Was wäre der Judenstaat ohne den Antisemitismus des 19. Jahrhunderts? Was wäre er ohne Auschwitz?“ (29) Allerdings gibt er zu bedenken, dass das Bild vom Kausalnexus zwischen Shoah und „Judenstaat“ auf einem Mythus beruhe, der, wie es eben mit Mythen so ist, die Realitäten verschleiert und in das Reich instrumentalisierter Imaginationen wegweisend Eingang findet. Diese finden ihren zentralen Ausdruck in der Annahme, die Staatsgründung Israels sei quasi die „Antwort“ auf die Shoah. Diese offiziöse Doktrin hat den zweifelhaften Ruf, dass sie nach Zuckermann nichts zur Erklärung der Shoah beizutragen weiß (30 f.). Es ist vielmehr ersichtlich, dass der Zionismus als Staatsideologie darauf aus sein musste, der Shoah in seinem System einen Platz zuzuweisen, der sie ihrer Monstrosität – ein bei ihm oft verwendetes Wort – beraubt und von dem aus es nicht gestattet war, die Nation Israel durch die Diasporajuden, die nach 1945 als Holocaustüberlebende nicht wie selbstverständlich und aus eigenem Willen nach Israel einwanderten, sondern woanders ihr Glück versuchten, in seiner Existenz zu beschneiden. Nach den Worten Zuckermanns suchten die Antisemiten „den Juden“ als Ganzen auszulöschen, die Zionisten den Diasporajuden abzuschütteln und zu desintegrieren (32 f.): „Die Shoah hatte Israel objektiv notwendig gemacht; sie musste nun für die ideologische Perpetuierung der Notwendigkeit herhalten.“ (34) Daraus erwachsen Banalisierung und Trivialisierung der Shoah, daraus erwächst vor allem eine Art ‚Israelisierung‘ des Genozids, die in einer „hanebüchenen Alltagsrhetorik“ (36) versinke. Aber: Israel stellt in seiner Zusammensetzung kein homogenes Gebilde seines ‚Staatsvolkes‘ dar. Orientalische und orthodoxe Juden zweifelten die Hegemonie der ‚ashkenasischen Kultur‘ an, immigrierte Juden aus der ehemaligen Sowjetunion taten ein Übriges, sich hegemonialen Integrationsbestrebungen zu unterwerfen (39).
Zuckermann wirft Licht auf das in Permanenz gehaltene israelische „Sicherheitsproblem“, sprich: die durch Palästinenser und arabische Staaten hervorgerufene Bedrohungslage. Er führt aus, dass diese Einheitsideologie die ersten Risse bekam, als sich im Zuge des Libanon-Krieges 1982 eine Friedensbewegung formierte, die den Glanz, der von „1967“ ausstrahlte, nicht mehr als conditio sine qua non ansah, sondern zunehmend die Enthemmungen der israelischen Soldateska gegenüber den Palästinensern an den Pranger stellte und in den Augen ihrer Kritiker die Integrität des jüdischen Staates unterminierten, einschließlich natürlich des Westjordanlandes. Diese Staatsräson fußt, so der Autor, auf dem Leid der palästinensischen Bevölkerung, ihrer kolonialistischen Unterdrückung und ihrer Abwertung zu Menschen zweiter Klasse (58 f.). Schießt Zuckermann allerdings nicht übers Ziel hinaus, wenn er behauptet, das Leben in Israel sei kontaminiert, weil die Angst umgehe, von einer feindlichen Umwelt eliminiert zu werden – eine Angst, die ebenfalls zur Ideologie ex officio zu gehören scheint (60)?
Solidarität mit Israel auf allen Ebenen – auf was lässt man sich da ein? Auf ein Apartheidsystem? Gerade die Deutschen müssten sich das fragen. Was es damit auf sich hat, wird im zweiten Teil angerissen. Auf circa 60 Seiten trifft Zuckermanns giftige Kritik: die Verwechslung von scharfer Missbilligung von Israels Nahostpolitik und Antisemitismus beziehungsweise die Gleichsetzung von Solidarität mit Israels Staatsräson mit der Bekämpfung von Antisemitismus; die Linke und ihre ideologischen Verrenkungen in Bezug auf Israel und Antisemitismus – Quelle islamophobischer Ressentiments, ganz im Sinne eines „euphorisierte[n] Philosemitismus“ (95); die Position der jüdischen Gemeinden in Deutschland; die Israel-Doktrin der Springerpresse; Zionismus und Antisemitismus.
Der Holocaust, der in Deutschland die Trichotomie von Israelsolidarität, Philosemitismus und Antisemitismuskritik zu einer offiziösen Staatsdoktrin mit „Ewigkeitswert“ zusammengeführt hat, ist nach Zuckermann lediglich Projektionsfläche „wohlmeinender“ Deutscher. Der im KZ ermordete Jude, ebenso die Überlebenden, ihre Angehörigen, Kinder und Verwandten werden durch einen solchen Vorgang ihrer konkreten Subjektivität beraubt und gewissermaßen in einem überindividuellen, abstrakten „Allgemeinen“ ‚aufgehoben‘ und sozusagen ‚monumentalisiert‘. Der Autor folgert daraus, dass diese Handlungsmaxime der manifesten Judenfeindlichkeit „nichts voraus“ hat. Denn die gesellschaftliche Allgegenwärtigkeit der Bekämpfung von Antisemitismus – „zum neuen zivilgesellschaftlichen Lustprinzip“ emporgehoben – erzeugt nolens volens Ansätze, die ihrer „Struktur nach als antisemitismusfördernd“ (69 f.) gewertet werden sollten. An einer anderen Stelle spricht Zuckermann von einer „pseudoemanzipativen, paranoiden Geste“ (82). Dem korrespondiert gesetzmäßig eine treuherzige, ohne jegliches Problembewusstsein ausgestattete Israelphilie, die zum Beispiel jeden noch so massiven Militärschlag Israels nicht nur rechtfertigt, sondern auch noch glänzend dastehen lässt (78). Die strukturellen Widersprüche im israelischen Gemeinwesen werden erst gar nicht wahrgenommen und so die Tragik der palästinensischen Bevölkerung als solche nicht begriffen und nur als Störfaktor in der politischen Entwicklung Israels gesehen und herabgewürdigt (zum Beispiel 84).
Die in den jüdischen Gemeinden in Deutschland sich formierenden Holocaust-Überlebenden verfielen, als Minorität innerhalb der deutschen Bevölkerung, in den Zustand einer äußerst reservierten Zurückhaltung in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, geprägt durch Eremitage-Dasein und Apolitizismus. Erst nachfolgende Generationen wurden politisch selbstbewusster und nach außen hin offensiver, wenngleich nur die schmale Schicht der Intelligenz. Das Verhältnis zum Staat Israel war gespalten. Dort als Diaspora-Juden abschätzig behandelt, übten sie sich in einem gewissen „Fernpatriotismus“, ohne sich ein tieferes Bild von den gesellschaftlichen Konfliktlagen im Lande verschaffen zu wollen. Aus den Hotelanlagen in Tel Aviv lässt sich das wohl kaum bewerkstelligen (101). Erst die Walser-Bubis-Kontroverse hat diese lange Dauer der quietistischen Friedhofsruhe beendet. Nach Zuckermann habe diese öffentlich ausgetragene Debatte zu einem „geradezu unfassliche[n] Novum“ geführt: Es sei eine Symmetrie konstruiert worden zwischen dem „Erinnerung Verweigerndem“ (Walser) und einem auf „Erinnerung pochenden Überlebenden“ (Bubis), eine Symmetrie, die in der Öffentlichkeit weitestgehend hingenommen wurde (103). Es setzte nunmehr ein Prozess der Erinnerungspolitik ein, bei dem die Shoah zunehmend einen abstrakteren Charakter annahm und allenfalls in individuellen Lebenswelten eine gewisse Rahmung erhielt. Insgesamt zieht Zuckermann für das Selbstverständnis der deutschen Juden den Schluss, dass es für diese darum ging, „die Dissonanz zwischen dem solidarischen Verhältnis zu Israel und der eigenen Lebensentscheidung, sich in Deutschland niederzulassen, zu kompensieren“ (107). Im Endeffekt nähert sich indes, verstärkt durch den Antisemitismus-Vorwurf gegenüber der nicht-jüdischen Umwelt, diese Haltung einer engeren Beziehung zu Israel. Die Lage der Palästinenser in den besetzten Gebieten habe den „Zentralrat der Juden in Deutschland“ nie interessiert. Im Gegenteil: Alle, die für diese Empathie und Sympathie aufbrachten, seien, ohne Sinn und Verstand als Antisemiten kompromittiert (107-110) worden.
Die sogenannten „essentials“, die der Axel Springer Verlag 1967 verabschiedete und zur Leitlinie für die Journalisten seines Konzerns wurde – Verteidigung demokratischer Werte, Unterstützung für ein vereinigtes Europa, Solidarität mit den USA, Ablehnung von Extremismus jeglicher Art, für freie und soziale Marktwirtschaft – enthält auch die Formel: „Wir unterstützen die Lebensrechte Israels“. In der Übergabe der Originalbaupläne des KZ's Auschwitz an den israelischen Staat durch den damaligen BILD-Chefredakteur Diekmann sieht Zuckermann nicht nur eine fatale Verwechslung von „Juden“ mit „Israel“ und seinem Recht auf Selbstverteidigung als raison d'être, sondern auch eine verdinglichte Form von Wiedergutmachung: Alles, was contra Israel ist, ist auch contra Judentum (ergo für Antisemitismus, 113). Der Autor sieht im Springer‘schen Kodex lediglich ideologisch präfixierte Verhaltensregeln, bar jeglichen Realitätssinns, eben Gesinnungsjournalismus. Das Lebensrecht der Palästinenser und ihr Kampf darum wird somit gar nicht mehr Stoff für Berichte, Kommentare oder Reportagen, sondern ausschließlich mit Ignoranz bedacht (115).
Eine, durchaus persönlich motivierte, Breitseite führt Zuckermann gegen all jene, die Israelkritiker in einen Hut mit Antisemiten stecken. Diese Rhetorik geht so: „Wenn der Neonazi Israel kritisiert und der jüdisch-israelische Staatsbürger Israel kritisiert, dann ist dieser eben gleicher Gesinnung wie der Neonazi, mithin tendenziell selbst Neonazi.“ (128) In seinen „Einsichten“ (154-157) heißt der letzte Merksatz: „Generell: Wer als Deutscher, dem Juden seit Auschwitz tabu sind, gerade Juden des Antisemitismus bezichtigt, ist selbst ein latenter Antisemit. Nicht immer latent.“ (157) Israel müsse aber kritisiert werden, wenn es um die verachtenswerte Behandlung der Palästinenser geht. Immer und immer wieder (123 ff., 161) hämmert Zuckermann dieses Bild des Apartheid-Israel seinen Lesern ins Gedächtnis. Er hat gewiss nicht unrecht. Seine innige und aufrichtige Solidarität mit den Palästinensern in allen Ehren, aber er schießt zuweilen übers Ziel hinaus, dabei macht vor allem der Ton die Musik. Zuckermann sieht in dieser Nichtbeachtung und des Nicht-sehen-Wollens der Auswüchse der realen Politik in Israel durch nicht-jüdische Deutsche ein Abstraktum, in ihrem Wesen „objektlos, eine egoistische Nabelschau“. Kommt bei dieser Solidaritätspraxis gegenüber einem „völkerrechtlich verkommenen und verbrecherischem Israel“, so Zuckermanns suggestive Frage, nicht eine „psycho-ideologisch motivierte Entlastung der historischen Schuld der Deutschen“ zum Vorschein? Zeigt sich in diesem Sachzusammenhang nicht erneut die Floskel von „Hitlers verlängertem Arm“? (195 f.)
Seit dem Ende des Kalten Krieges und der Herausbildung neuer internationaler wie regionaler Konfliktzonen lassen sich insbesondere unter linken Intellektuellen eigenartige geistig-politische Konversionen beobachten. Sie verneinen ihre Herkunft und nehmen gegen diese eine zuweilen rüde Abwehrhaltung ein, die oftmals nur noch Kopfschütteln hervorgebracht hat. Das ist im vorliegenden Falle nicht anders. Dagegen kämpft, im Geiste Zuckermann eng verbunden, Susann Witt-Stahl an, indem sie die „Rechtswende von Linken im Täterland und ihr Verrat am humanistischen Judentum“ grundsätzlich zum Thema macht. Sie führt als Beleg mehrere Beispiele von intellektuellen Metamorphosen an, für die das Dogma des „Israel first“ kathexochenen Stellenwert besitzt, die Intifada dagegen des Teufels ist: „Wir tragen Gucci. Wir tragen Prada, Tod der Intifada“, so die Parole der sogenannten „Adorno Ultras“ (217, 251). Die Autorin, Journalistin und Chefredakteuren des Magazins für Gegenkultur „Melodie Rhythmus“, spricht von „Hetzjagden auf jüdische Linke“ (zum Beispiel auf die Adorno-Preis-Trägerin von 2012, Judith Butler, Fürsprecherin einer Ein-Staaten-Lösung, 223 f.). Die Autorin verweist auf die „wutschnaubende[...] Raserei“ von „antideutschen“ Deutschen, die immer dreister verlauteten, dass die nazistische Barbarei nur durch „weniger schlimme Barbarei“ ausbalanciert werden könne (227). Abschreckend sei das Verhalten wie jenes der einstmals grünen Aktivistin Jutta Ditfurth, die sich nicht entblödete, die linken Israelkritiker als „(Vernichtungs-)Antisemiten“ anzuprangern (230). Zuckermann erhält von ihr das Etikett des „antizionistischen Antisemit[en]“ (254).
Das Buch von Zuckermann ist eine Streitschrift, und der Autor einer solchen kämpft entweder auf verlorenem Posten gegen starke gesellschaftliche und politische Mächte, oder er schwimmt im Sog der Mehrheitsgesellschaft mit, sodass es ihm ein Leichtes sein wird, den dominierenden Ansichten risikolos und mit schwachem Geiste nach dem Munde zu reden und ferner die nur mikroskopisch auszumachende kritische Minderheit aus der beschirmten Position der Gewinner den Garaus machen zu wollen. Dieser ideenpolitischen Konfrontation sieht sich Zuckermann ausgesetzt, und so nimmt es nicht Wunder, wenn manche seiner Äußerungen nicht nur von offener und zäher Verbissenheit zeugen, sondern auch seine Argumentationslinien gelegentlich erratische Züge aufweisen, als sie sich durch rationale Bestandsaufnahmen auszeichnen. So bewundernswert es ist, dass sich Zuckermann entschieden für das Lebensrecht der Palästinenser einsetzt und vice versa die brutale Unterdrückungspolitik Israels geißelt, so verharrt doch manche seiner Äußerungen nur im pathetisch Überpointierten, und das wird auch nicht überzeugender durch permanente stakkatohaft vorgebrachte Wiederholungen. Was auch nicht zielfördernd ist, ist der Sprachduktus, der, der Semantikforschung sei's gedankt, die inhaltliche Disposition lenkt. Die Kritische Theorie hat in vielerlei Hinsicht ihren Erkenntnisrang, aber sie kann nicht alles erklären und deuten. Das wird weder ihren Urhebern gerecht, noch der Sache, um die es Zuckermann eigentlich geht: die rationale Verknüpfung von Antisemitismuskritik mit Israelkritik.
Außen- und Sicherheitspolitik
Aus der Annotierten Bibliografie