Der lange Weg einer Zivilgesellschaft. Über die Vergangenheit der polnischen Gegenwart
Die polnische Zivilgesellschaft kann auf eine Entwicklung zurückblicken, die deutlich in die sozialistische Zeit zurückreicht – ist aber bis in die Gegenwart hinein schwach geblieben. Dies mag ein Grund dafür sein, dass das polnische Selbstverständnis heute noch durch die konservative und rechtspopulistische Politik unter Rückgriff auf die Vergangenheit definiert wird. Die hier vorgestellten Bücher bieten insgesamt einen Längsschnitt durch die Geschichte Polens und seiner Gesellschaft, wobei sich weniger Zäsuren, sondern längere historische Übergänge als prägend erweisen. Die Erfüllung des zivilgesellschaftlichen Anspruchs, Fundament und Korrektiv der Politik zu sein, steht allerdings noch aus.
Die polnische Zivilgesellschaft kann auf eine Entwicklung zurückblicken, die deutlich in die sozialistische Zeit zurückreicht – ist aber dennoch bis in die Gegenwart hinein schwach geblieben. Dies mag ein Grund dafür sein, warum es der Politik des rechten Spektrums immer noch gelingt, das polnische Selbstverständnis unter Rückgriff auf die Vergangenheit zu definieren, Stichworte sind unter anderem die NS-Besatzungszeit und das Massaker von Katyń. An das Gedenken an Letzteres schließt sich inzwischen der Flugzeugabsturz von Smolensk an, bei dem der damalige Staatspräsident Lech Kaczyński umgekommen ist.
Die hier in Kurzrezensionen gezeigten Bücher bieten in der Zusammenschau insgesamt einen Längsschnitt durch die Geschichte Polens und seiner Gesellschaft, der weniger durch Zäsuren charakterisiert ist als durch längere historische Übergänge – trotz Krieg, trotz Systemumbruch. Jan T. Gross erzählt von einem Antisemitismus, der keineswegs nur den deutschen NS-Besatzern geschuldet war (Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne und Angst. Antisemitismus nach Auschwitz in Polen) und nicht zum polnischen Selbstverständnis als Opfer und zugleich Helden der Geschichte passt. Nach 1945 zeigt sich aber auch eine Gesellschaft, die sich letztlich dem Sozialismus verweigerte – sowohl im Alltag (Jerzy Kochanowski, Jenseits der Planwirtschaft. Der Schwarzmarkt in Polen 1944-1989) als auch in der Politik: Die Gründung der Solidarność, der Runde Tisch und schließlich der friedliche Systemwechsel waren für Ostmitteleuropa richtungsweisend. Die Erfüllung des zivilgesellschaftlichen Anspruchs, Fundament und Korrektiv der Politik zu sein, steht allerdings noch aus, wie die beiden Polen-Jahrbücher mit den Schwerpunkten Regionen und Umwelt zeigen. Einen Überblick bietet Włodzimierz Borodziej mit der Geschichte Polens im 20. Jahrhundert.
Rote Bürger. Eine Milieu- und Beziehungsgeschichte linker Dissidenz in Polen (1956-1976)
Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2013 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 209); 288 S.; 54,99 €; ISBN 978-3-525-37032-2Die Zivilgesellschaft Polens. Zwischen Aufbruch und Stagnation
Berlin: Lit 2013 (Region – Nation – Europa 63); 173 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-643-10656-8Geschichte Polens im 20. Jahrhundert
München: C. H. Beck 2010 (Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert); 489 S.; hardc., 39,95 €; ISBN 978-3-406-60647-2Jahrbuch Polen 2015. Umwelt
Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2015; 213 S.; 11,90 €; ISBN 978-3-447-10342-8Jahrbuch Polen 2012. Regionen
Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2012; 185 S.; 11,80 €; ISBN 978-3-447-06649-5Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne. Mit einem Vorwort von Adam Michnik. Aus dem Englischen von Friedrich Griese
München: C. H. Beck 2001; 196 S.; geb., 18,50 €; ISBN 3-406-48233-3Angst. Antisemitismus nach Auschwitz in Polen. Aus dem Polnischen von Friedrich Griese, unter Mitarbeit von Ulrich Heiße
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2012; 454 S.; 26,95 €; ISBN 978-3-518-42303-5Rechtsextremer Osten? Zur Lage in Russland, der Ukraine und Polen
Marburg: Tectum Verlag 2011; 157 S.; pb., 24,90 €; ISBN 978-3-8288-2696-0Jenseits der Planwirtschaft. Der Schwarzmarkt in Polen 1944-1989. Aus dem Polnischen übersetzt von Pierre-Frédéric Weber
Göttingen: Wallstein Verlag 2013 (Moderne europäische Geschichte 7); 475 S.; geb., 42,- €; ISBN 978-3-8353-1307-1Das Weltbild und die Wirtschaftsauffassung des polnischen Rechtspopulismus
Berlin: Weißensee Verlag 2004; 253 S.; 32,- €; ISBN 3-89998-052-2Revolution der Erinnerung. Der Zweite Weltkrieg in der Geschichtskultur des spätsozialistischen Polen
Berlin: Ch. Links Verlag 2016 (Kommunismus und Gesellschaft 2); 514 S.; brosch., 50,- €; ISBN 978-3-86153-891-2Die geglückte Revolution. Das Politische und der Umbruch in Polen 1976-1997
Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014; 454 S.; 44,90 €; ISBN 978-3-506-76619-9Die große Angst. Polen 1944-1947. Leben im Ausnahmezustand. Übersetzt von Sandra Ewers
Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016; 629 S.; 49,90 €; ISBN 978-3-506-78093-5Außen- und Sicherheitspolitik
Weitere Literatur
Hubert Leschnik
Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in Polen von 1998 bis 2010
Marburg, Herder-Institut 2018 (Studien zur Ostmitteleuropaforschung)
Stefanie Peter
Undercover Nation – Die geheime Geschichte Polens
Berlin, Suhrkamp Verlag
Krzysztof Pilawski / Holger Politt
Polens Rolle rückwärts. Der Aufstieg der Nationalkonservativen und die Perspektiven der Linken
Hamburg, VSA 2016
Andreas Rostek (Hrsg.)
POLSKA first. Über die polnische Krise
Bonn, Bundeszentrale für politische Bildung 2018 (Schriftenreihe 10254)
Fabian Winker
Rechtspopulistische Regierungsparteien in Ungarn und Polen. Gefahr oder Revitalisierung der Demokratie?
München, GRIN Verlag 2016
Rezension
{Bid=40226}Der Wahlerfolg von PiS sei mit einem politisch wirksamen Gegensatz von Zentrum und Peripherie zu erklären, schreibt Klaus Bachmann, der sich in einem Konflikt zwischen denjenigen, die postmaterialistisch und emanzipatorisch denken, und anderen, die materialistischen Traditionen anhängen, manifestiere. Die PiS-Partei habe sich erfolgreich gegen Wertewandel und mit Fremdenfeindlichkeit positioniert, aber erst durch das Wahlsystem die absolute Mehrheit erlangt. Damit sei sie nicht zu dem Verfassungsbruch legitimiert, durch den Polens Rechtsstaatlichkeit und Demokratie jetzt akut gefährdet seien.
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zum Thema
Die Anfeindung – rechtspopulistische und rechtsextreme Phänomene im postsowjetischen Raum