Markus Bickel: Die Profiteure des Terrors. Wie Deutschland an Kriegen verdient und arabische Diktaturen stärkt
Der Journalist Markus Bickel, ein ausgewiesener Kenner des arabischen Raums, legt ein wichtiges Buch für die Anfang 2018 aufgeflammte Diskussion über die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung vor. Diese wurde durch das militärische Vorgehen der Türkei in Syrien ausgelöst, bei dem auch Leopard 2-Panzer aus deutscher Produktion zum Einsatz kamen. Bickel zeigt auf, wie die Durchsetzung kurzfristiger wirtschaftlicher Interessen einer Branche, die insgesamt keine tragende Säule der deutschen Volkswirtschaft ist, die langfristigen außenpolitischen Ziele – in diesem Fall: Frieden im Nahen und Mittleren Osten – konterkariert.
Der Journalist Markus Bickel, ein ausgewiesener Kenner des arabischen Raums, hat ein wichtiges Buch für die Anfang 2018 aufgeflammte Diskussion über die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung geschrieben. Diese Diskussion wurde durch das militärische Vorgehen der Türkei in Syrien ausgelöst, bei dem auch Leopard 2-Panzer aus deutscher Produktion zum Einsatz kamen. Das Thema Rüstungsexportpolitik wurde damit nicht mehr nur in einem kleinen Fachkreis, sondern in der breiteren Öffentlichkeit kritisch diskutiert.
Bickel untersucht die Rüstungsexportpolitik Deutschlands gegenüber Staaten aus dem arabischen Raum. Dabei kritisiert er, dass in den vergangenen Jahren ein Großteil deutscher Rüstungsexporte in diese sogenannten Drittstaaten gingen, die weder EU noch NATO angehören oder deren Mitgliedern gleichgestellt sind. Insbesondere die Rüstungsexporte in die konfliktreiche Region des Nahen und Mittleren Ostens kritisiert Bickel scharf, da diese seiner Ansicht nach durchaus kurz-, mittel- und langfristige Folgen haben, die Deutschlands außen- und sicherheitspolitischen Interessen entgegenstehen können.
In seinem Buch geht er intensiv auf die Staaten Jemen, Saudi-Arabien, Syrien, Irak, Ägypten sowie Libyen und deren Beteiligung an den vielfältigen Konflikten in der Region ein. Gerade an den kriegerischen Konflikten in Syrien und im Jemen lässt sich sehr anschaulich nachvollziehen, wie Rüstungsexporte Deutschland mit diesen Kriegen in Verbindung bringen und zu Verstrickungen führen. Über Verbündete und Partner (beispielsweise Saudi-Arabien, Katar oder die nordirakischen Kurden) finden deutsche Waffen und Rüstungsgüter ihren Weg in diese Kriege und befeuern dort den Fortgang der Gewalt. Gleichzeitig stützen diese Rüstungsexporte die jeweiligen autokratischen Regierungen, meint Bickel, und tragen so zum Erhalt der repressiven Strukturen bei – und das nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Rüstungsgütern wie Kommunikations- oder Grenzsicherungssysteme.
Bereitwilliger Lieferant dieser stark nachgefragten Güter ist die deutsche Rüstungsindustrie, deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) recht gering ist (circa ein Prozent). Auch die Anzahl der Beschäftigten in der Branche (circa 135.000 Arbeitsplätze, siehe 194 f.) ist sehr gering im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Erwerbstätigen (circa 44 Millionen – Stand November 2017). Bickel zeigt also auf, dass die Rüstungsindustrie in Deutschland kein wirtschaftspolitisches Schwergewicht ist (anders als zum Beispiel die deutsche Automobilindustrie). Trotzdem kann diese Branche großen Einfluss auf die politischen Entscheidungen in Berlin nehmen. So skizziert Bickel gleich zu Beginn seines Buches die durchaus engen Verbindungen zwischen der Rüstungslobby und den deutschen Politikern in Exekutive und Legislative.
Das außenpolitische Handeln der Staaten in dieser Region wird kenntnisreich und profund aufgearbeitet. So erhält der Leser einen Einblick in die verwobenen Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen der arabischen Staaten untereinander. Auch wird deren außenpolitisches Denken nachvollziehbar, welches von Einflusssphären geprägt ist und auf klassische Militär- und Machtpolitik zurückgreift, um Vormachtstellungen zu erreichen oder zu halten. Menschenrechte, Demokratieentwicklung und moralisches Handeln spielen dabei keine Rolle. Bickel verdeutlicht, dass genau dieses machtorientierte Handeln die bestehenden Konflikte befeuert und neue Kriege heraufbeschwört: ein Zustand, der den kurzfristigen wirtschaftlichen Zielen der deutschen Rüstungsindustrie entgegenkommt, jedoch den langfristigen außenpolitischen Zielen Deutschlands (Stabilität in der Region) diametral entgegensteht.
Dabei ist augenfällig, dass die derzeitige Praxis der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung nicht dazu geeignet ist, die strukturellen Probleme und Herausforderungen für die Stabilität und Sicherheit der jeweiligen Empfängerländer zu lösen. Diese Probleme haben dann wiederum mittelbar Auswirkungen auf Europa und Deutschland. So entsteht das Bild eines Teufelskreises, an dem Deutschland zwar nicht ursächlich Schuld hat, jedoch einen Teil dazu beiträgt, dass dieser erhalten bleibt.
Bickel legt in seinem Buch den Fokus auf Deutschland, jedoch wird mit seinen Ausführungen deutlich, dass es oft nur einer von vielen Akteuren ist. Der deutsche Einfluss auf die Staaten in der Region und der Anteil deutscher Rüstungsgüter an den Rüstungsimporten sind teilweise recht gering. Daher wird die Frage aufgeworfen, ob die aktuelle Rüstungsexportpolitik wirtschaftspolitisch notwendig und außenpolitisch sinnvoll ist. Um eine alternative Antwort auf diese Frage zu geben, zeigt Bickel im abschließenden Kapitel einen „dritten Weg“ für eine andere Außen- und Rüstungsexportpolitik auf – eine Perspektive, die in der aktuellen öffentlichen Debatte völlig fehlt.
Das Buch zeichnet jedoch nicht nur die konkreten Rüstungsexporte in die einzelnen Länder nach, sondern stellt auch die allgemeinere Frage nach der Werte- und Moralorientierung der deutschen Außenpolitik. Damit berührt es auch die Rede des damaligen Außenministers Sigmar Gabriel beim Berliner Forum Außenpolitik der Körber Stiftung am 05.12.0217.1 In dieser Rede formulierte Gabriel ein Defizit im strategischen Denken Deutschlands und sah dafür unter anderem als Grund „überdimensionierte moralische oder normative Scheuklappen“, die strategische Kompromissbildung verhindern würden.
Folgt man jedoch den eindringlichen Ausführungen von Bickel, kann man den Eindruck bekommen, dass die deutsche Außenpolitik insgesamt und die Rüstungsexportpolitik im Speziellen schon längst von moralischen Fesseln befreit wurden. Er weist in verschiedenen Fällen nach, dass Wirtschaftsinteressen und kurzfristiges Sicherheitsstreben die Entscheidungen für Rüstungsexportgenehmigungen bestimmt haben und dabei moralische Bedenken und kritische Menschenrechtslagen in den Empfängerländern ignoriert wurden.
Am Beispiel der Rüstungsexportpolitik wird das Strategiedefizit der deutschen Außenpolitik deutlich, die allzu sehr auf den kurzfristigen (wirtschaftlichen) Erfolg setzt und dabei Second- und Third-Order-Effekte ihres Handelns nicht antizipiert und berücksichtigt; auch die fehlende Kohärenz zwischen Außen-, Wirtschafts-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik wird deutlich. Als Beispiel kann hier Ägypten angeführt werden, zu dem Deutschland auch nach dem erneuten Errichten eines autokratischen Systems um Präsident und General Abdel Fatah El-Sisi enge wirtschaftliche Beziehungen hält. Die rückläufige Demokratieentwicklung und eklatante Menschenrechtslage findet hier, nach Bickel, keine Berücksichtigung im außenpolitischen Handeln.
Bickel hat insgesamt ein Buch vorgelegt, das einen guten und umfassenden Überblick über die Konfliktsituation im Nahen- und Mittleren Osten und Deutschlands Verwicklung in diese Konflikte durch seine Außen- und Rüstungsexportpolitik aufzeigt. Dabei ist der Titel leider ein wenig reißerisch beziehungsweise verspricht mehr als das Buch halten kann. Zwar liegt der Fokus auf der deutschen Rüstungsexportpolitik und wird auch als roter Faden in allen Kapiteln hinweg durchgezogen. Jedoch nimmt die Beschreibung der deutschen Außenpolitik aus einer moralischen Perspektive heraus durchaus einen gewichtigeren Teil des Buches ein. Bickel liegt aber mit dem Titel und seinem Ansatz insofern richtig, dass, wie oben gezeigt und im Buch deutlich wird, Deutschland mit der derzeitigen Außen- und Rüstungsexportpolitik im Nahen und Mittleren Osten keinerlei strategischen Gewinn erzielt. So sind es letztlich die Rüstungsfirmen, die mit Erlaubnis der Bundesregierung durch Rüstungsexporte in die konfliktreiche Region des Nahen- und Mittleren Ostens ihre Auftragsbücher füllen und an den Kriegen verdienen wie auch die arabischen Diktaturen stärken.
1https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Bulletin/2017/12/117-3-bmaa-forum.html