Phoenix aus der Asche: Wie al-Qaida sich neu erfindet und wieder an Stärke gewinnt
Al-Qaida hat einen Wandel durchlaufen und gewinnt wieder an Stärke, so die Beobachtung von Florian Wätzel. Während die Kernorganisation an Einfluss verloren hat, haben sich ihre Ableger verselbstständigt. Der Zusammenbruch von Staatlichkeit in Teilen des Nahen Ostens und Nordafrikas als Folge des Arabischen Frühlings hat den Dschihadisten weitreichende Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Wo politische Instabilität eine effektive Terrorismusbekämpfung verhindert, eröffnen sie neue Fronten, rekrutieren Kämpfer und vergrößern ihren Einfluss. Von Terroroperationen im Ausland und damit von Osama bin Ladens globalen Dschihad gegen den Westen nehmen sie hingegen Abstand, um ihre bisherigen Erfolge in der eigenen Heimat nicht durch Vergeltungsschläge des Westens zu gefährden.
Der Islamische Staat (IS) verliert in seinen Kerngebieten heute immer mehr an Boden. Es liegt nur drei Jahre zurück, dass seine Kämpfer noch aufsehenerregende Erfolge feierten. Sie eroberten weite Teile des Iraks und Syriens, riefen auf ihrem Herrschaftsgebiet ein Kalifat aus, exportierten ihren Terror nach Europa und verstanden es, mit ihren aktionsgeladenen Propagandafilmchen eine neue Generation von Dschihadisten zu begeistern. Das Terrornetzwerk al-Qaida, das bis dato als Vorreiter der weltweiten dschihadistischen Bewegung und seit den Anschlägen vom 11. September 2001 als größte Terrorgefahr für die internationale Sicherheit galt, schien angesichts der Erfolge des IS plötzlich unzeitgemäß und altersmüde. Doch der Schein trog. Während die weltweite Aufmerksamkeit auf den IS gerichtet war, expandierte das Terrornetzwerk, rekrutierte neue Kämpfer und gewann an Einfluss. Zahlenmäßig ist al-Qaida heute stärker als je zuvor.
Aus der Sicht einiger Experten erhöht das Revival des Netzwerks die Terrorgefahr im Westen. Befürchtet wird, dass al-Qaida neue Basen in Ländern wie Syrien und dem Jemen errichtet, die dann als Sprungbretter für eine internationale Terrorkampagne dienen können. Al-Qaida stelle nicht nur eine größere Gefahr als der IS dar, sondern sei sogar eine „existenzielle Bedrohung“ für den Westen.1 Unabhängig davon, ob diese Warnung berechtigt ist oder nicht, macht sie doch deutlich, dass die Wahrnehmung von al-Qaida noch immer von den schrecklichen Ereignissen des 11. Septembers 2001 bestimmt ist. In der gängigen Sichtweise vieler Experten strebt al-Qaida nach wie vor die Konfrontation mit dem Westen an. Dabei wird übersehen, dass sich die strategischen Prioritäten des Terrornetzwerks deutlich verschoben haben. Al-Qaida kämpft heute hauptsächlich gegen die Herrscherhäuser in der islamischen Welt. Der Kampf gegen den Westen spielt dagegen nicht nur eine Nebenrolle, sondern steht sogar im Widerspruch zu ihren lokalen Ambitionen. Denn eine erneute Provokation des Westens würde ihre Erfolge in Ländern wie Syrien oder dem Jemen gefährden.
Die neue strategische Ausrichtung ist das Resultat eines schleichenden Veränderungsprozesses, den das Terrornetzwerk in den vergangenen Jahren durchlaufen hat. Um diesen Prozess nachvollziehen zu können, hilft ein Blick auf die Veränderungen in der politischen Umwelt, deren Auswirkungen auf al-Qaida sowie die Dynamiken innerhalb des Terrornetzwerks.
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Der vollständige Beitrag ist erschienen in Sirius – Zeitschrift für Strategische Analysen, Heft 3 / 2017: https://www.degruyter.com/view/j/sirius.2017.1.issue-3/issue-files/sirius.2017.1.issue-3.xml
Außen- und Sicherheitspolitik
Aus den Medien
Colin P. Clarke
The Moderate Face of Al Qaeda. How the Group Has Rebranded Itself
Foreign Affairs, Snapshot, 24. Oktober 2017
Aus der Annotierten Bibliografie
zum Thema
De-Radikalisierung in der arabsichen Welt
zur Website von
SIRIUS - Zeitschrift für Strategische Analysen