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Essay / 27.10.2017

Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Ostdeutschland. Entstehung und Entwicklung

Die AfD hat, wie die Bundestagswahl gezeigt hat, ihre Hochburgen im Osten Deutschlands, zu beobachten ist dort auch eine aktive rechtsextreme Szene. Für diese im Vergleich zum Westen deutlich ausgeprägteren Phänomene sind zwei miteinander verknüpfte Dimensionen verantwortlich, schreibt Klaus Schroeder: die Nachwirkungen der politischen Sozialisation in der DDR sowie die durch die Wiedervereinigung entstandenen sozialen Umbruchprozesse. Zudem waren Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus auch in der DDR weit verbreitet, wie seit der Öffnung der Archive nachzulesen ist.

Die DDR verhinderte nicht nur bis kurz vor ihrem Untergang die freie Ausreise ihrer Bürger, sondern reglementierte auch die Einreise strikt. Zuwanderung hat der Teilstaat kaum erfahren und so konnte das Zusammenleben mit Menschen anderer Herkunft nicht Teil der Alltagskultur werden. Die wenigen Vertragsarbeiter etwa aus Vietnam oder Angola wurden diskriminiert. Foto: Ehemaliger DDR-Grenzübergang Marienborn. (Peter H / Pixabay)

 

Nicht zuletzt mit dem Aufkommen von Pegida und ihren Ablegern, die vor allem in den neuen Ländern tausende „besorgte Bürger“ mobilisierten, entspann sich eine Diskussion über die Ursprünge von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus insbesondere in Ostdeutschland. Dabei wird kontrovers diskutiert, welche Nachwirkungen der Sozialisation im SED-Staat bis heute das Denken und Verhalten vieler Ostdeutscher bestimmen.

Die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) erzielte in den letzten Jahren bei Landtagswahlen beachtliche Stimmenanteile und schaffte mit einem zweistelligen Ergebnis (12,6 Prozent) im Jahr 2017 den Einzug in den Bundestag. Zwar zieht die Partei auch im Westen der Republik aus verschiedenen Gründen unzufriedene Wähler an, ihre Hochburgen hat sie jedoch im Osten, wo sie zudem radikaler und unversöhnlicher auftritt. Sie erhielt im Osten 21,9 Prozent und im Westen 10,7 Prozent der Stimmen. Zwei miteinander verknüpfte Dimensionen sind für diese Ost-West-Differenz verantwortlich: die Nachwirkungen unterschiedlicher politischer Sozialisationen sowie die durch die Wiedervereinigung entstandenen sozialen Umbruchprozesse.

Warum konnte die AfD gerade im Osten so stark werden? Vor allem zwei Aspekte erinnern viele ehemalige DDR-Bürger an ihre Vergangenheit und lösen Protest aus: die Tabuisierung von Themen sowie die Entfremdung zwischen den Herrschenden und weiten Teilen der Bevölkerung.

Die Bundesregierung und viele Medien haben zu Beginn der massenhaften Zuwanderung mit der Behauptung, es kämen vor allem hochqualifizierte traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge und viele Familien mit Kindern, sowie mit Aussagen über Herkunft, Geschlecht und Bildungsstand der Flüchtlinge zumindest irreführende Informationen gegeben. Tatsächlich handelte es sich anfangs vorwiegend um junge männliche sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge aus den Balkanstaaten und anderen nicht vom Bürgerkrieg geprägten Ländern. In der Folgezeit wurde dies zwar korrigiert, aber das Misstrauen gegenüber offiziellen Angaben war geweckt. Straf- und insbesondere Gewalttaten von Zugewanderten wurden in dieser Zeit kaum thematisiert, um nicht ausländerfeindliche Ressentiments zu verstärken. Das war zwar volkspädagogisch gut gedacht, ging aber nach hinten los, wie nicht zuletzt die Diskussionen um die gewaltsamen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht zeigten.

Ein weiteres Beispiel ist die Griechenlandkrise und die nahezu vorbehaltlose Stützung des Euro seitens der Bundesregierung und der EU. Hier konnte der Eindruck vieler Menschen, es würde zu ihrem materiellen Schaden gehandelt, nicht beseitigt werden. Beide Dimensionen nutzt(e) die AfD zu ihrer Profilierung und zur Mobilisierung.

Zu Recht wird ausführlich über Anschläge auf Flüchtlingsheime und Geflüchtete sowie Hass-Mails an „Flüchtlingsfreunde“ und Fernsehmoderator/-innen berichtet. Weitgehend verschwiegen hingegen werden die nahezu täglichen Übergriffe auf Büros und Wohnungen von AfD-Mitgliedern, die Hass-Mails und Morddrohungen, die führende Funktionäre erhalten, sowie körperliche Übergriffe von Linksextremisten auf Mitglieder und Sympathisanten der rechtspopulistischen Partei.

Wenn an Demonstrationen und Veranstaltungen der AfD Personen aus dem neonazistischen Umfeld teilnehmen, wird das zu Recht medial kritisiert. Wenn sich Analoges auf der linken Seite ereignet, bleibt dieser Vorgang in den Medien weitgehend unkommentiert. Prominente Vertreter von Linkspartei, GRÜNEN und SPD haben keine Hemmungen, mit Stalinisten, orthodoxen Marxisten/Leninisten und gewaltbereiten Linksautonomen gemeinsam gegen die AfD zu demonstrieren. Wenn SPD- und Grünenpolitiker, unter ihnen Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, an einer Demonstration teilnehmen, in der es aus den Lautsprechern „Deutschland, Du mieses Stück Scheiße“ hallt und sie trotzdem hinter dem Block gewaltbereiter Linksextremisten hertrotten, muss sich niemand wundern, wenn die AfD bei Teilen der Bevölkerung Zustimmung für ihre Forderung nach einer Abkehr vom „rot-grün versifften Deutschland“ erhält.

Ein weit verbreitetes Unbehagen an den aktuellen politischen Verhältnissen resultiert vornehmlich aus dem Politikstil der Regierung, insbesondere der Bundeskanzlerin. Die Politik wird verordnet, ein Diskussionsprozess verweigert, indem Entscheidungen als alternativlos dargestellt werden. Dagegen setzt die AfD die Forderung nach mehr Volksabstimmungen. Befürworter von plebiszitären Demokratieelementen auf der linksgrünen Seite des politischen Spektrums sind angesichts dessen still geworden. Ihnen schwant aktuell nichts Gutes, wenn sie an Volksabstimmungen denken. Jetzt werden sie die Geister, die sie einst beschworen, nicht mehr los.

Mentale Folgen der sozialistischen Diktatur

Am 3. Oktober 1990 verschwand zwar die DDR als Staat, aber ihre Hinterlassenschaft ging in das wiedervereinigte Deutschland ein und wirkt bis zum heutigen Tag nach. Fortbestehende Probleme im Transformationsprozess in allen postsozialistischen Ländern, in denen nationalkonservative und rechtspopulistische Kräfte mitunter Regierungen stellen, veranschaulichen das Erbe des linken Totalitarismus, dessen Heilsversprechen zwar im Desaster endete, aber dennoch Erwartungen und Verhaltensweisen der Menschen prägte. Der naive Glaube, allein durch die Etablierung demokratischer Institutionen und soziale Transfers Menschen und Verhältnisse von heute auf morgen grundlegend ändern zu können, erwies sich schon bald nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums als Wunschtraum.

Der Versuch der SED, den „neuen Menschen“ und damit die „neue Gesellschaft“ zu schaffen, ging mit einer kollektiven und autoritären Form der Erziehung einher. Schon in Kindergarten und Schule, aber auch in ihrer Freizeit wurden Kinder und Jugendliche zur Unterordnung unter das Kollektiv und die Vorgaben der Partei erzogen. Diese Form des Umgangs setzte sich bei der Organisation des Erwachsenenalltags fort. Die von Partei und Staat gesetzten Rahmenbedingungen erzwangen eine gewisse Gleichförmigkeit im alltäglichen Leben. Das Ziel staatlicher Erziehung war, den eigenen Willen frühzeitig zu brechen, die Herausbildung von Individualität zu hemmen und den Kollektivgeist zu fördern.

Der sozialistische Versorgungsstaat, der alle Lebensbereiche und Lebenslagen durchdrang und den Einzelnen in Kollektive einband, erzeugte zwar ein Gefühl von Sicherheit, förderte zugleich aber die individuelle Entmündigung. Unter diesen Bedingungen vollzog sich eine Persönlichkeitsentwicklung, die Unterordnung und sogar Unterwürfigkeit begünstigte und gleichzeitig durch das Streben nach Freiheitsräumen und Ventilen zur Bewältigung oder Verdrängung von Alltagsproblemen charakterisiert war. Individuelle Verantwortung konnte der Normalbürger kaum übernehmen, da alles politisch vorgegeben war und kontrolliert wurde.

Die verstorbene oberste Volkserzieherin Margot Honecker (1927-2016) skizzierte die Aufgabe des Bildungssystems mit den Worten: „Wir wollen einen Menschen erziehen, der ein Kollektivmensch unserer Zeit ist, der weit mehr für das gesellschaftliche Leben als für seine persönlichen Interessen lebt.“

Die vorgefundenen Lebensverhältnisse zwangen den Einzelnen zur weitgehenden Anpassung, sodass die Grenze zwischen selbstbestimmter und fremdbestimmter Biografie verschwamm. Als Folge bildeten sich in der Bevölkerung politische Apathie, individueller Zynismus oder Opportunismus heraus. Sozialistische Tugenden und Wertemuster konnten sich bei den meisten Menschen nur so weit durchsetzen, wie sie den tradierten obrigkeitsstaatlich geprägten deutschen Sekundärtugenden entsprachen.

Die Spätfolgen dieser autoritären Prägungen sehen wir heute in der geringen Akzeptanz der praktizierten Demokratie, einer niedrigeren Wahlbeteiligung und in deutlich höheren Wahlergebnissen extremistischer und populistischer Parteien. Gehalten hat sich auch die Annahme eines Dualismus von „die da oben und wir hier unten“. Gewechselt haben nur die Akteure – früher waren es Honecker und die SED, heute sind es Merkel und die etablierten Parteien. Damals wie heute fühlen sich viele Ostdeutsche von den Herrschenden übergangen und meinen, im Leben zu kurz zu kommen.

Ausländerfeindlichkeit in der DDR

Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus gibt es überall in Deutschland, aber in den neuen Ländern liegen die Bevölkerungsanteile bei der generellen Ablehnung von Ausländern, der Zahl der Rechtsextremisten sowie der rechtsextremen Gewalttaten doppelt so hoch wie in den alten.

Erst nach dem Fall der Mauer und mit der Öffnung der Archive wurde einer erstaunten Öffentlichkeit deutlich, wie weit verbreitet ausländerfeindliche Einstellungen waren und in welchem Ausmaß Behörden gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Einheimischen und Ausländern offiziell registriert hatten. Am 31. Dezember 1989 lebten in der DDR, abgesehen von den sowjetischen Besatzungstruppen, nur etwa 191.000 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, etwa 1,2 Prozent der Bevölkerung. Das waren etwa so viele, wie in Köln und Duisburg zusammengenommen. Die meisten von ihnen waren sogenannte Vertragsarbeiter, die für vier bis fünf Jahre in der DDR arbeiteten und den Arbeitskräftemangel kompensieren sollten.

Ein einklagbares Recht auf Einwanderung oder Asyl gab es nicht. Mehrere tausend Personen erhielten gleichwohl vorübergehend oder längere Zeit Asyl. Die Verfassung enthielt eine „Kann-Bestimmung“, nach der Ausländern oder Staatenlosen Asyl gewährt werden konnte, wenn ihre politischen Auffassungen und Ziele denen der SED entsprachen. Der Ministerrat entschied über die Asylgewährung. Es handelte sich also nicht um Rechtsgrundsätze, sondern um politische Entscheidungen, die jederzeit widerrufen werden konnten. Die zahlenmäßig größte Gruppe der politischen Flüchtlinge, denen die SED Asyl gewährte, bestand aus rund 2.000 Chilenen – vornehmlich Kommunisten –, die nach dem Putsch von Pinochet ihr Heimatland verlassen mussten.

Die meisten Vertragsarbeiter lebten von der Bevölkerung isoliert und unterlagen strengen Verhaltensnormen. Zwar hatten die ausländischen Arbeitskräfte formal die gleichen Rechte wie die deutschen, faktisch aber waren sie einfacher zu kontrollieren, da sie bei Verstößen gegen die „sozialistische Arbeitsdisziplin“ jederzeit in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden konnten. Sie waren in betriebseigenen Wohnheimen untergebracht, in denen es eine ständige Einlasskontrolle gab. Männer durften keine Frauen in den Zimmern empfangen, Arbeitskollegen oder deutsche Besucher hatten den Personalausweis vorzulegen und Fragen des Pförtners zu beantworten. Da die ausländischen Arbeitnehmer ohne ihre Familie in die DDR kommen mussten – Familiennachzug gab es nicht –, waren Privatkontakte ein „Sorgenkind der Behörden“. Vertragsarbeiterinnen, die schwanger wurden, mussten abtreiben oder man schickte sie in ihre Heimatländer zurück.

Fremdenfeindliche Vorfälle oder zumindest gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Ausländern registrierten die Behörden seit Ende der 1950er-Jahre. In späteren Jahren berichtete das Sekretariat für Arbeit und Löhne dem SED-Zentralkomitee wöchentlich über Vorkommnisse mit Ausländern und deren Probleme. Die negative Einstellung vieler DDR-Bürger gegenüber bestimmten Ausländern fand auch Niederschlag in der Wortwahl. Sie nannten Farbige „Brikettis“ und Vietnamesen „Fidschis“.

Besondere Aggressionen in Teilen der Bevölkerung erregten Schwarzafrikaner, die eine Beziehung mit ostdeutschen Frauen hatten. Auch das Verhältnis zu Polen war nicht gerade von Harmonie geprägt; antipolnische und chauvinistische Äußerungen gehörten zum Alltag. Ab 1980 verschärften sich diese Konflikte, da die SED die polnische Krise zum Schüren weiterer antipolnischer Ressentiments nutzte.

Vor allem ab Mitte der 1980er-Jahre häuften sich gewaltsame Konflikte zwischen Einheimischen und Ausländern. Eine interne Parteiinformation aus dem Jahr 1988 verweist auf die Konflikte zwischen ausländischen Arbeitskräften und der einheimischen Bevölkerung, die in Wohngebieten der Bevölkerung Dresdens immer wieder durch ruhestörenden Lärm, starke Inanspruchnahme der Wohngebietsansprüche, Alkoholmissbrauch und Konflikte mit DDR-Bürgern entstünden. Die Bevölkerung würde mit gewaltsamen Aktionen reagieren, ausländische Jugendliche zu Schlägereien provozieren, Wohnheime beschädigen. Im Januar 1989 beklagten Angolaner ihre Diskriminierung im Wohnheim und während der Arbeit; im April wurde über eine Bombendrohung auf ein Wohnheim für ausländische Werktätige in Dresden berichtet.

Konfliktfelder im Verhältnis zu Ausländern, die zu einer ablehnenden oder feindseligen Haltung führten, entwickelten sich aus der argwöhnisch beobachteten Übererfüllung der Arbeitsnormen durch Ausländer, vor allem durch Vietnamesen, das organisierte „Abkaufen“ von Mangelwaren durch Vertragsarbeiter und die „Reisefreiheit“ für bestimmte Ausländer, die im Westen elektronische Geräte einkauften und in der DDR auf dem Schwarzmarkt zu hohen Preisen verkauften.

Besonders hohe Ausländerfeindlichkeit gab es – so das Ergebnis einer 1990 durchgeführten Befragung – im Süden der DDR, vornehmlich in Thüringen und Sachsen, insbesondere in den Städten Leipzig, Dresden und Chemnitz.

Nach dem Fall der Mauer stieg die Ausländerfeindlichkeit im ganzen Land sprunghaft an. Angesichts der weit verbreiteten Unsicherheit und Orientierungslosigkeit suchten sich viele Ostdeutsche ein Ventil, um ihre Frustrationen und Aggressionen loszuwerden. Hier boten sich die ohnehin nicht geliebten Ausländer an, die in den darauffolgenden Jahren Zielscheibe blinden gewalttätigen Hasses von ausländerfeindlich eingestellten Bürgern wurden. Beispielhaft stehen hierfür die Vorfälle in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen.

Rechtsextremismus in der DDR

Im März 1989 war das Parteiorgan der SED – das „Neue Deutschland“ – weiterhin fest davon überzeugt, dass es in der DDR weder Ausländerfeindlichkeit noch Rechtsextremismus gebe. Der Antifaschismus als Staatsdoktrin hätte zu einem radikalen Bruch mit allem Reaktionären und Antihumanen, mit nationalistischer Überheblichkeit und Völkerverachtung geführt. Tatsächlich aber ereigneten sich von Anfang bis Ende der DDR immer wieder Vorfälle, die auf einen rechtsextremen Hintergrund hindeuteten. Zwar war – vor allem bei jüngeren Tätern – hiermit nicht immer ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild verbunden, aber nicht wenige Jugendliche benutzten nationalsozialistische Symbole zur Provokation der Herrschenden und als Ausdruck ihrer Ablehnung des sozialistischen Systems.

Sie provozierten mit Hakenkreuzschmierereien, neofaschistischen Pöbeleien, positiven Bezugnahmen auf Hitler und die NS-Zeit, antikommunistischen Parolen, aber auch mit gewalttätigen Übergriffen. Schon Ende 1961 hatte der FDJ-Zentralrat daher ein Strategiekonzept zur Auseinandersetzung mit gewalttätigen Jugendgruppen entwickelt. Über durchschlagende Erfolge ist indes nichts bekannt, im Gegenteil: Nach dem Bau des sogenannten antifaschistischen Schutzwalls gingen neonazistische Provokationen unvermindert weiter. Die Behörden registrierten nicht nur „Propaganda-Delikte“, sondern gleichermaßen Gewaltdeli te. Die SED und das Ministerium für Staatssicherheit MfS charakterisierten sie jedoch nicht als rechtsextreme Gewalttaten, sondern als „asoziales Verhalten“ und „Rowdytum“.

In den 1980er-Jahren mussten SED und Stasi die Entstehung und nahezu flächendeckende Verbreitung von Skinheads und neonazistischen Gruppen zur Kenntnis nehmen, deren Ursachen sie aber im Westen verorteten. In Verhören gaben Skins jedoch an, keine Rädelsführer zu haben, sondern den zu respektieren, „der stark ist und nicht lange fackelt, sondern zuschlägt“. Sie strebten ein Großdeutschland an und lehnten Ausländer, vor allem Türken, ab.

Ab Mitte der 1980er-Jahre ritualisierten Skinheadgruppen die Gewalt und erklärten bestimmte Bevölkerungsteile, vornehmlich Ausländer, Homosexuelle, Grufties, Punks, aber auch Vertreter der Repressionsorgane des SED-Staates zu Feinden. Sie übten bewusst Terror gegen andere aus, um ihre Stellung zu festigen. Vor allem dunkelhäutige Ausländer waren „bevorzugte“ Opfer. Gewalt übten sie nahezu immer in Gruppen aus, selten individuell.

In der Endphase der DDR kämpften viele Skinheads als rechtsextreme Gruppen gegen den SED-Staat. Sie agierten verstärkt konspirativ, um ihre Zusammenschlüsse vor der Zerschlagung zu schützen. SED und Stasi konnten sie nicht mehr übersehen und bezeichneten die Jugendlichen nicht länger nur als negativ-dekadent oder rowdyhaft, sondern erkannten einen Zusammenhang mit politischer Untergrundtätigkeit und werteten sie als Jugendliche mit neofaschistischen Auffassungen. Die Ursachen sahen sie weiterhin in der „politisch-ideologischen Diversion des Gegners“: Der Klassenfeind war hiernach Schuld an der Ausbreitung dieser Strömungen.
Ab 1988 begannen sich die Skinhead- und Fascho-Gruppen kommunikativ überregional zu vernetzen, was auch Haftbetreuung und Planung gemeinsamer Freizeitaktivitäten sowie Gewalthandlungen miteinschloss. Im gleichen Jahr entstanden erste Organisationen, die mit westlichen Rechtsextremen sympathisierten und Verbindungen zu westdeutschen Neonazigruppen aufnahmen. Im vorletzten Jahr der DDR verzeichnete die Polizei in den meisten Kreisstädten rechtsextreme Szenen mit einem kleinen harten Kern von Ideologen und Anführern und einem mehr oder weniger großen Sympathisantenkreis.

Die Zahl der Gewalt- und Straftaten ausländerfeindlicher rechtsextremer Gruppen stieg nach Angaben der Kriminalpolizei von 1983 bis 1988 ungefähr um das Fünffache. 1990 kam eine von der Kriminalpolizei in Auftrag gegebene Studie zu dem Ergebnis, dass diese Gruppen über eine aggressive, reaktionär-militaristische und neofaschistische Orientierung verfügten. Dafür sprächen die Anschauungen über die naturgegebene Ungleichheit der Menschen, das keimende Bewusstsein des „Ausgewählt-Seins“ und der unbedenkliche Anspruch, diese Anschauung mit Gewalt durchsetzen zu wollen. Diese Gruppen können sogar – so die Einschätzung der Kriminalpolizei – als „Keimzellen für terroristische Verbindungen“ angesehen werden – eine Vorahnung, die Jahre später in Gestalt der NSU mörderische Realität werden sollte.

Am Vorabend ihres Zusammenbruchs existierte in der DDR ein vielfältiges Spektrum rechtsextremer Gruppen, in denen Skinheads, Hooligans und Faschos dominierten, von etwa 1.000 rechtsextremen und intensiv gewalttätigen Personen und einem Potenzial von Sympathisanten von etwa 15.000 Personen, deren Aktivitäten und Drohungen im Herbst/Winter 1989/90 sprunghaft zunahmen.

Anders als die SED behauptete, entsprangen neonazistisches Gedankengut und rassistische Einstellungen nicht kapitalistischen Verhältnissen, sondern der Disposition vieler Menschen in autoritär oder totalitär geprägten Staaten. Generell wächst, wie Adorno schon 1959 feststellte, die Faszination totalitärer Systeme und Ideologien nicht aus politisch-ökonomischen Kriterien, sondern aus einer schwachen Persönlichkeit, die der Identifikation mit großen Kollektiven bedarf.

Der vereinigungsbedingte politische und soziale Umbruch

Schon bald nach der Wiedervereinigung merkten die ehemaligen DDR-Bürger, dass das westliche System nicht in allen Dimensionen dem Erträumten und Erhofften entsprach. Im Winter 1990 äußerte eine Mehrheit, die im Laufe des Transformationsprozesses anstieg, sie hätte lieber einen neuen Staat als den der Bundesrepublik gehabt. Offenbar erwies sich im alltäglichen Leben vieles an den neuen demokratischen Institutionen anders als erwartet. Der für sie neue Staat überschüttete die Menschen zwar mit Formularen, die dem bürokratischen Gang der Dinge Rechnung tragen sollten, hielt sich aber aus ihrer Sicht in anderen Bereichen zugunsten der privaten Wirtschaft zurück.

Das Misstrauen oder die Gleichgültigkeit gegenüber den neuen demokratischen Institutionen hat sich in den letzten 25 Jahren eher verfestigt als aufgelöst. Ostdeutsche haben generell weniger Vertrauen in politische Institutionen als Westdeutsche. Es gibt keine Institution, zu der Ostdeutsche höheres Vertrauen als Westdeutsche haben. Gefragt nach den größten Erfolgen und Leistungen der Bundesrepublik, nennt nur ein Viertel der Ostdeutschen gegenüber der Hälfte der Westdeutschen ein stabiles politisches System. Den Rechtsstaat erwähnen 23 Prozent von ihnen gegenüber 46 Prozent im Westen. Das Grundgesetz lobt ein Drittel der Ostdeutschen, aber zwei Drittel der Westdeutschen.

Dramatisch fielen zumindest in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung die sozialen Umbrüche aus. Betriebe und Verwaltungen schickten ältere Werktätige in den Vorruhestand, viele verloren ihren Arbeitsplatz, mussten sich neu qualifizieren und eine neue Beschäftigung suchen, was in den meisten Fällen gelang. Für nahezu alle Ostdeutschen änderten sich die Arbeits- und Lebensverhältnisse. Sie sahen sich vor Herausforderungen gestellt, die mit Ungewissheiten und Unsicherheiten einhergingen.

Die neue Freiheit setzte anfangs vermeintlich keine Grenzen. Für viele Jugendliche existierten keine Autoritäten mehr. Auf sich allein gestellt, fehlte ihnen das Gefühl, gebraucht und anerkannt zu werden. In der alleingelassenen Jugend, die keine Vorbilder und Autoritäten mehr hatte, konnten rechtsextreme Ideologen Fuß fassen. Die gewaltbereite rechtsextreme Szene breitete sich rasch weiter aus.

Inzwischen haben sich die meisten Ostdeutschen einen im Vergleich zum Westen zwar etwas geringeren, aber doch beträchtlichen Wohlstand erarbeitet. Die anfangs hohe Arbeitslosigkeit ist stark gesunken, aber der Sozialneid gegenüber dem Westen und den Ausländern vielfach geblieben. Die Gemütsverfassung, zu kurz gekommen zu sein, hat sich ebenfalls gehalten. Und jetzt kommen über eine Million Ausländer ins Land, die am Wohlstand teilhaben wollen. Viele Ostdeutsche halten die meisten von ihnen für „Wirtschaftsflüchtlinge“, die hier nichts zu suchen haben. Hiergegen artikulieren sie Proteste bis hin zu Gewaltübergriffen. Die aktuelle Argumentation gegen Ausländer ist nahezu deckungsgleich mit der in der DDR. Eine schweigende Mehrheit sieht zu, Gegendemonstrationen werden vom linken bis linksextremen gewaltbereiten Milieu bestimmt.

Die Folgen für parteipolitische Optionen und Wahlverhalten

Die verbale und mitunter auch gewalttätige Radikalisierung der politischen Auseinandersetzungen in Ostdeutschland findet Ausdruck im Wahlverhalten. Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt wählte knapp die Hälfte eine links- oder rechtspopulistische Partei. Linkspartei und AfD bündeln die Proteste gegen das System und die Eliten und streben eine andere Republik an. Sie haben zwar unterschiedliche Ziele, sie eint aber eine grundsätzliche Kritik am herrschenden System. Bei der Bundestagswahl 2017 hat die AfD die Linkspartei als erfolgreichste Protesttruppe abgelöst. Vor allem im Umgang mit Flüchtlingen unterscheiden sich die beiden Parteien. Während die Linke, abgesehen von einer kleinen Minderheit um Sahra Wagenknecht, weiterhin nahezu alle ins Land kommen lassen will, die aus unterschiedlichen Gründen in Deutschland Zuflucht suchen, propagiert die AfD eine äußerst restriktive Flüchtlingspolitik. Eine Mehrheit der Ostdeutschen steht in dieser Frage eher aufseiten der AfD.

Sicherlich kann und darf man die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kritisieren, aber den ins Land kommenden Ausländern mit Hass und Verachtung zu begegnen, wie es vielerorts, insbesondere, aber nicht nur in Ostdeutschland geschieht, ist Ausdruck antizivilen Verhaltens. Und hier liegt das Problem: Die Zivilgesellschaft ist im Osten vielerorts nur ein zartes Pflänzchen, das oftmals vom Mob niedergetrampelt wird.
Die AfD pauschal in die rechtsextreme Ecke zu rücken, wie es insbesondere linke Politiker tun, ist ebenso falsch wie die Gleichsetzung von Linkspartei und SED. Eine pauschale Herabwürdigung und Diffamierung ihrer Mitglieder und Sympathisanten verstärkt eher das Zusammengehörigkeitsgefühl als dass es zum Nachdenken anregt. Vor allem Ostdeutsche reagieren empfindlich auf diese Art der politischen Ausgrenzung, weil sie an DDR-Verhältnisse erinnert.

Unter den Sympathisanten von Pegida und AfD gibt es sicherlich auch Rechtsextremisten, aber viele Mitläufer begreifen ihren Protest als Fortsetzung der Demonstrationen im Spätherbst 1989. Sie fühlen sich „von denen da oben“ – damals der SED, heute der Regierungskoalition und den Grünen – bevormundet, zum Beispiel wenn bei der Frage der Flüchtlingsunterbringung nur zugewiesen und nicht erst diskutiert wird. In dem Maße wie sich nahezu die gesamte politische Klasse und die gesellschaftlichen Kräfte gegen sie stellen, wie jüngst anlässlich des Programmparteitages der AfD geschehen, sehen sie sich in ihrem Widerspruch zum System bestätigt und setzen ihn trotzig fort.

Diese Haltung aufzubrechen ist eine Aufgabe aller Parteien, die keine weitere Radikalisierung wollen. Gewiss: Von Weimarer Verhältnissen sind wir auch in Ostdeutschland weit entfernt, aber soziale und politische Stabilität sind keine Selbstläufer. Sie werden nicht durch markige Worte, sondern durch nachvollziehbare Taten bestimmt. Die Bürger des Landes haben ein Recht auf Berücksichtigung ihrer Interessen. Die staatstragenden Parteien sollten auch mit der AfD die sachbezogene Auseinandersetzung suchen und auf Beschimpfungen und Entlarvungsstrategien verzichten, die vor Jahrzehnten schon bei den Grünen und der PDS nicht fruchteten. Die AfD wiederum muss eine klare Trennlinie zu extremen Kräften ziehen, wenn sie ernst genommen und in den politischen Dialog einbezogen werden will.

Im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen, die sich zugunsten der Sympathiewerte für die AfD auswirken, steht derzeit sicherlich die offizielle Flüchtlingspolitik. Mit dieser Thematik entstandene Probleme wurden regierungsoffiziell und medial erst verdrängt und dann zumeist verharmlosend kommentiert, was der AfD nur nützte.

Selbstverständlich kann und muss über die Folgen der Zuwanderung diskutiert werden. Akzeptieren wir die Personen, die aus Bürgerkriegsländern nach Deutschland gekommen sind, als Einwanderer oder gewähren wir ihnen nur für die Zeit des Bürgerkriegs in ihrem Heimatland Zuflucht? Wie können wir eine gezielte Einwanderungspolitik betreiben, die auch die Interessen Deutschlands berücksichtigt? Handelt es sich bei der jetzigen Zuwanderung von Flüchtlingen um eine verdeckte Einwanderungspolitik, die von offizieller Seite verschwiegen wird? Warum werden Gewaltübergriffe von Linken und Linksextremisten öffentlich anders wahrgenommen und diskutiert als die von Rechten und Rechtsextremisten? Gibt es Täter und Opfer erster und zweiter Klasse oder heiligt sogar der Zweck die (gewaltsamen) Mittel?

Das sind nur einige Fragen, die viele Menschen bewegen und auf die bisher nur die AfD Antworten gibt, die einem gefallen mögen oder auch nicht. Was hindert die staatstragenden Parteien an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit AfD-Positionen? Warum geben sie nicht auf diese und weitere in der Bevölkerung aufgeworfene Fragen die besseren Antworten?


Literatur

Eva-Maria Elsner/Lothar Elsner: Ausländerpolitik und Ausländerfeindschaft in der DDR 1949-1990, Leipzig 1994

Klaus Schroeder: Rechtsextremismus und Jugendgewalt. Ein Ost-West-Vergleich, München/Wien/Zürich 2004

Klaus Schroeder: Das neue Deutschland. Warum nicht zusammenwächst, was zusammengehört, Berlin 2010

Klaus Schroeder: Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR 1949-1990, vollst. überarb. 3. Aufl., Köln 2013

Jochen Staadt: „Deutschland den Deutschen“. Rechtsextreme in der DDR, in: FAZ vom 31.08.2015

Bernd Wagner: Rechtsradikalismus in der Spät-DDR. Zur militant-nazistischen Radikalisierung. Wirkungen und Reaktionen in der DDR-Gesellschaft, Berlin 2014

Harry Waibel: Der gescheiterte Anti-Faschismus in der SED. Rassismus in der DDR, Frankfurt/M. 2014

Für das Portal für Politikwissenschaft aktualisierte Fassung des SWR2-Manuskripts „Braunes Erbe der DDR?“, 5. Juni 2016

 

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