David Demes, Frédéric Krumbein: Taiwan. Asiens erstaunliche Demokratie
In dieser Schrift der Bundeszentrale für politische Bildung beschreiben David Demes und Frédéric Krumbein die Geschichte Taiwans sowie die gesellschaftliche, wirtschaftliche und demokratische Entwicklung des Inselstaats. Ein zentraler Fokus liegt auf dem politisch und völkerrechtlich komplexen Status Taiwans im Konflikt mit der Volksrepublik China. Laut Josie-Marie Perkuhn gelingt den Autoren eine prägnante Einführung, die Taiwans Weg in die Demokratie aus eigener Kraft nachzeichnet. Allerdings bleibe die Anzahl der Referenzen zur wissenschaftlichen Quellenprüfung gering.
Eine Rezension von Josie-Marie Perkuhn
Taiwan hat sich in den vergangenen 50 Jahren zu einer erstaunlichen Demokratie in Asien entwickelt. Daran lassen die Autoren des Einführungsbuchs, David Demes und Frédéric Krumbein, keinen Zweifel. Sie liefern für eine interessierte Leserschaft den komplexen Hintergrund, um die konfliktreiche Entwicklung der Insel zur Demokratie als auch die anhaltende Debatte um die taiwanische Identität zu verstehen. Oftmals fehlt dieses Hintergrundverständnis, um die jüngst gewonnene mediale Aufmerksamkeit um Taiwan im Zuge einer sich zuspitzenden Sicherheitslage im Spannungsverhältnis zwischen strategischen Großmachtsinteressen und Innovationstechnologie einordnen zu können. Dazu präsentieren die beiden Autoren eine konzise und mit Fakten angereicherte Einführung. Gespickt mit lokalen Eindrücken durch ihr Verständnis über die Kultur und Bevölkerung präsentieren Demes und Krumbein einen Überblick über die erklommenen Etappen einer beispiellosen Demokratisierung, deren Errungenschaften in puncto Menschen- und Freiheitsrechte gegenwärtig auch dem internationalen Vergleich Stand halten.
Die vorbildhafte Demokratie Asiens
Taiwan führte 2023 nach dem Demokratieindex der Economist Intelligence Unit nicht nur die Rangliste der asiatischen Demokratien an, sondern stand sogar auf dem zehnten Platz weltweit (56). Diese wahrlich erstaunliche Demokratie hat auch aufgrund der völkerrechtlich verzwackten Situation ohne Mitglied der Vereinten Nationen zu sein, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in das taiwanische Recht übertragen. Zudem spreche sich die Regierung ebenso gegen die Diskriminierung von Frauen aus wie sie Minderheitenrechte stärke (56). Darunter fielen die gleichgeschlechtliche Ehe, die Rechte von LGBTQ+-Personen sowie die im Grundgesetz verbrieften Schutzrechte für indigene Völker (65). Das Buch behandelt die auszeichnende Vielfalt der Insel und stellt ihre Bedeutung in den globalgeschichtlichen Kontext.
Neben Einführung und Schlusswort werden einzelne Themenabschnitte sieben weiteren Kapiteln zugeordnet. Diese informieren unter anderem über die Siedlungsgeschichte und Fremdherrschaft, die Demokratisierung mit Konsolidierung bis hin zum beispielhaften Pandemiemanagement, den dadurch angestoßenen identitären Wandel innerhalb der Bevölkerung und den wirtschaftlichen Aufstieg zum Hauptproduzenten der weltweit begehrten Halbleiter. Auch erfährt die Leserschaft über die Verbindungen zur EU als Werte- und Handelspartner sowie im ausblickenden Kapitel über die zunehmende Bedrohung der Demokratie im Zuge des Konfliktes in der Taiwanstraße.
Demokratisierung für alle: Situation der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Aufarbeitung der Fremdherrschaft
Im Kapitel zur Geschichte von Besiedlung und Fremdherrschaft erfährt die Leserschaft eine Erzählung der Vergangenheit durch die Brille Taiwans. Ausgehend von der politischen Liberalisierung etablierte sich eine Präsidialrepublik mit fünf Gewalten, die auf der Demokratielehre von Sun Yat-sen[1] fußte und final durch die Aufhebung des Kriegsrechts im Jahr 1986 besiegelt wurde. Im Kapitel zur taiwanischen Demokratie scheuen sich die Autoren nicht vor einem trübenden Licht und schildern die noch mangelhafte Umsetzung der Schutzrechte für indigene Völker: So erfolgte im Oktober 2022 ein Rechtsspruch des Verfassungsgerichtshofes, nach dem die Gesetzeslage diesbezüglich verfassungswidrig sei. Noch immer würden vor allem in den Küstenregionen indigene Volksgruppen, die in der chinesischen Mehrheitsgesellschaft aufgegangen seien, nicht anerkannt (66). Hierin steckt ein weiterer Konflikt der Inselbevölkerung zur tradierten Fremdherrschaft, die nun im Zuge der Demokratisierung und Entdeckung der eigenen Inselgeschichte aufgearbeitet werden kann. Zudem weisen die statistischen Zahlen darauf hin, dass indigene Menschen häufiger arbeitslos sind und über niedrigere Einkommen sowie ein geringeres Bildungsniveau verfügen (68). Auch bei der Pandemiebekämpfung sorgte die Diskriminierung der vulnerablen Gruppe der Migrierten für internationale Kritik. Zur Abmilderung wurden Impfzentren eingerichtet, bei denen sich Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis ohne Gefahr vor Verhaftung oder Ausweisung impfen lassen konnten (75 f.). Politisch ergreift die Regierung Maßnahmen gegen die jeweiligen Ungleichheiten.
Die Reaktionsfähigkeit, mit demokratischen Prozessen gegen die aufgedeckten Ungleichheiten vorzugehen, steht laut den Autoren im gewissen Zusammenhang mit dem „Wiedererwachsen einer taiwanischen Identität“ (142 ff.). Es empfiehlt sich der Blick ins Buch, um die entstandenen gesellschaftlichen Spannungen zwischen den zugezogenen Fremdherrschaften der vergangenen Jahrhunderte zu verstehen. Am präsentesten ist aktuell die gesellschaftliche Aufarbeitung der Spannungen, die im Zuge der Fluchtbewegung vor dem Bürgerkrieg auf dem Festland ausgelöst wurden. Das in diesem Zuge oppressive Vorgehen gegen die bereits ansässige Inselbevölkerung wird heute auch als Zeit des „Weißen Terrors“ (43 ff.) bezeichnet. Die Personengruppe, die vorwiegend zwischen 1945 und 1955 mit der Partei der Nationalisten, Kuomingdang (KMT), nach Taiwan geflohen ist, wird auch als Waishengren bezeichnet. Bis zum Ende des Kriegsrechts 1987 dominierte die KMT die politische Führung Taiwans. Gesellschaftlich stehen den Waishengren die Benshengren gegenüber. Dieser Begriff bezeichnet „Menschen, deren Familien sich seit dem 17. Jahrhundert in Taiwan angesiedelt hatten“ (139). Mit dem Regierungsanspruch der vom Festland geflohenen „Auswärtsgeborenen“ begann eine Zeit der konfliktreichen Auseinandersetzung. Die in der bürgerkriegsähnlichen Zeit entstandenen Traumata würden nun gesellschaftlich thematisiert und aufgearbeitet. Zusammenfassend präsentiert sich das Land im gesellschafts-identitären Wandel heute „zu Recht als weltoffen und tolerant, als ein Land, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft grundsätzlich gleichberechtigt sind und integriert werden“ (147).
Völkerrechtliche Situation und die Ein-China-Politik
Aus völkerrechtlicher Perspektive erfüllt Taiwan laut Krumbein und Demes alle Merkmale eines eigenständigen Staates, „da das Land sich demokratisch selbst regiert und über ein eigenes Staatsvolk und ein eigenes Staatsgebiet verfügt und die Hoheitsgewalt über Volk und Territorium ausübt“ (20). Durch die Geschichte international marginalisiert, kämpfe Taiwan um seine Existenz und die Anerkennung seiner demokratischen Leistung. Zurückführen lasse sich der Status quo auf die Entscheidung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Resolution 2758 im Jahr 1971, durch die alle Rechte der Volksrepublik China wiederhergestellt und ihre Regierungsvertreter als die einzigen rechtmäßigen Vertreter Chinas in den Vereinten Nationen anerkannt wurden (83). Im Zusammenhang mit dem Taiwan Relations Act[2] von 1979 sowie dem zuvor verabschiedeten Joint Communique of the United States of America and the People’s Republic of China aus dem Jahr 1972 sei dadurch die unterschiedliche Auslegung der „Ein-China-Politik“ entstanden. Nach der Auslegung der USA wird zwar die Volksrepublik anerkannt, allerdings, so Krumbein und Demes, bedeutet das nicht, „dass sie Taiwan als Teil der Volksrepublik China verstehen“ (85). Für China ist allerdings aus diesen Abkommen die Sichtweise erwachsen, dass Taiwan ein integraler Bestandteil der Volksrepublik sei, was in der öffentlichen Kommunikation auch mit dem „Ein-China-Prinzip“ bezeichnet wird.
Die ökonomische Erfolgsgeschichte Taiwans und Aufstieg zum Marktführer der Halbleiterproduktion
Die ökonomische Erfolgsgeschichte der Insel wird in kurzen Etappen vom Tigerstaat zum marktführenden Produzenten der weltweit gehandelten Halbleiter behandelt. Während die Insel international zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren noch als „Königreich der Plastikschuhe“ bekannt gewesen sei (125), hätten weitreichende Investitionen unter Premierminister Chiang Ching-kuo in Schwerindustrie, chemische Industrie sowie in die Infrastruktur einen wirtschaftlichen Aufschwung bewirkt. Taiwan sei zu einem Tigerstaat geworden und habe sich später, angeregt durch die Ölkrise von 1979/80, auf „weniger ressourcenabhängige Wirtschaftszweige“ konzentriert (126). Allerdings wird der große Einfluss der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zum aufsteigenden Festland auf Taiwans Wirtschaftswachstum nicht weiter vertieft. Diese erlebten gerade unter dem damaligen Präsidenten Ma Ying-jeou ihren Höhepunkt und sollten in ein weitreichendes Handelsabkommen münden, gegen das sich jedoch die protestierende Jugend der Sonnenblumen-Bewegung aufgelehnt habe (144). Grundstein für die Entwicklung zum heutigen Marktführer der Halbleiterindustrie war jedoch die Überzeugung des einstigen Wirtschaftsministers Li Kwoh-ting, der die US-amerikanische Firma Texas Instruments vom Bau einer Halbleiterfabrik in Taiwan überzeugte (127). Mit der Gründung des Industrial Technology Research Institute (ITRI) 1973 wurde die Produktion massiv durch Investitionen in die Forschung und Entwicklung begleitet. Heute stelle Taiwan nicht nur den größten Anteil aller Halbleiter her, sondern sei auch für 37 Prozent der neuen Rechenleistung weltweit durch die Zulieferung von Mikrochips verantwortlich (127). Wie in anderen Industriestaaten sähe sich auch Taiwans Wirtschaft großen Herausforderungen gegenüber. Dazu gehöre der demografische Wandel einer alternden Gesellschaft mit geringer Geburtenrate sowie der Fachkräftemangel.
Die vierte Taiwanstraßenkrise
Neben der wirtschaftlichen Bedeutung der Chipindustrie ist die Insel in der jüngsten Vergangenheit auch wieder aufgrund ihrer bedrohten Demokratie medial präsent. Mit dem Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi im Sommer 2022 bei Präsidentin Tsai Ing-wen begann die bis heute schwellende vierte Taiwanstraßenkrise. Welche Szenarien für eine gewaltsame Annexion bestehen und welche möglichen Einschätzungen es zum jetzigen Zeitpunkt für einen Kriegsausbruch geben könnte, wird im abschließenden Kapitel selektiv behandelt. Fest steht jedoch, die zentrale Schutzmacht Taiwans sind die USA, denn das Kräfteverhältnis besteht zugunsten der Volksrepublik China. Aus strategischer Sicht sei diese gerade an Taiwan als idealem Stützpunkt für die chinesische Hochseeflotte interessiert (165). Um einem Angriff vorzubeugen oder zumindest darauf vorbereitet zu sein, würden nicht nur Taiwan und die USA Maßnahmen ergreifen, sondern auch Japan, Australien, die Philippinen und Südkorea (168 ff.). Den Beitrag Deutschlands und der EU sehen die Autoren primär darin, „den Preis eines Krieges für China hochzutreiben und damit den Frieden in der Taiwanstraße zu sichern“ (172).
Fazit
Zusammenfassend blicken Demes und Krumbein bewusst auf die Geschichte der Insel und ihren Weg in die Demokratie aus eigener Kraft. Sie behandeln neben den Einflüssen durch Siedlung und Eroberungsversuche während der imperialen Kaiserzeit Chinas auch die europäischen Kolonien auf Taiwan im Zuge der Handelsschifffahrt im 17. Jahrhundert sowie die Siedlungsgeschichte der ersten indigenen Völker und binden ebenfalls die aktuellen Entwicklungen in den weltgeschichtlichen Kontext ein. All dies wird im Buch mit vielen Karten, Grafiken und Bildern veranschaulicht. Ein Zeitstrahl verschafft einen Überblick, um über die teilweise historisch sprunghaft erzählten Zusammenhänge, zu einem grundlegenden Verständnis über Taiwan zu gelangen. Zudem erleichtert ein Index die Stichwortsuche. Das Buch „Taiwan – Asiens erstaunliche Demokratie“ ist als Einführung zu verstehen, jedoch sind Referenzen und Quellen nur spärlich vorhanden. Diese wären jedoch für eine wissenschaftliche Quellenprüfung wünschenswert gewesen.
Anmerkungen
Demokratie und Frieden