Richard English: Does Counter- Terrorism Work?
Der Terrorismusforscher Richard English fragt, ob (und wann) Terrorismusbekämpfung funktioniert. Unter Rückgriff auf drei Fallkonstellationen aus seiner 2016 erschienenen Vorgängerpublikation „Does Terrorism work?“ – Afghanistan und Irak, Nordirland sowie Israel – erarbeitet er nun Merkmale, die der Terrorismusabwehr zum Erfolg verhelfen könnten. Herausgekommen sei ein lesenswertes Buch, das diese wichtige Thematik dezidiert aus historischer Perspektive beleuchte und dabei u. a. strategisch „bemerkenswerte Widersprüche innerhalb der jeweiligen Fälle“ offenbare, lobt unser Rezensent.
Das vorliegende Werk des Historikers und Terrorismusforschers Richard English ist gewissermaßen die Fortsetzung seines erfolgreichen Buchs „Does Terrorism Work?“ aus dem Jahr 2016. Damals für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit einer scheinbar simplen und dennoch hoch relevanten Frage gefeiert, weckte er ein großes gesellschaftspolitisches Interesse, das weit über die Nischen verwandter Forschungszweige hinausging[1]. Nun, etwa acht Jahre später, stellt English in gekannter, sich vermeintlich naiv gebärdender Manier die sich beinahe schon von selbst aufdrängende Gegenfrage: „Does Counter-Terrorism Work?“
Dabei setzt sich die aktuelle Bucherscheinung, dem theoretischen Verständnis des Autors folgend, im Grunde selbst voraus. So würden sich Terrorismus und die Terrorismusabwehr in einer wechselseitigen Beziehung jeweils gegenseitig konstituieren (1 f.). Insofern beleuchtet English, wenn er fragt, ob Terrorismus oder Terrorismusabwehr funktionieren, dieselbe Medaille von zwei Seiten.
Anhand von drei Fallstudien – dem War on Terror der USA in Afghanistan und im Irak, dem Nordirlandkonflikt und der israelischen Terrorismusbekämpfung im Nahen Osten – arbeitet English heraus, ob die Bekämpfung von Terrorismus erfolgreich ist. Hierbei hilft ihm ein selbst entworfenes Klassifizierungsraster, das nicht nur bei der Bewertung unterstützt, sondern gleichermaßen die Falluntersuchung strukturiert. Grundsätzlich unterscheidet er zwischen strategischen, teilweise-strategischen und taktischen (Miss-)Erfolgen sowie Einflüssen, die sich auf keiner dieser drei Ebenen verorten lassen (5 ff.). Die Beurteilung des (Miss-)Erfolgs eines bestimmten Falles misst er anhand von politisch und operativ gesetzten Zielen. Gegenstand jeder Falluntersuchung ist daher die Beschreibung der weiteren politischen beziehungsweise strategischen Ziele selbst, aber zum Beispiel auch das nachrichten- und geheimdienstliche Arbeiten oder die Fähigkeiten eines Akteurs in der Informationssphäre.
Die Leserinnen und Leser, die bereits Gelegenheit hatten „Does Terrorism Work?“ zu studieren, dürften es leicht haben, sich im Forschungsdesign des vorliegenden Buches zurechtzufinden. Denn sowohl das beschriebene Analyseraster als auch die Fallauswahl sind nahezu identisch mit dem Vorgänger. So überrascht es auch nicht, dass es beispielsweise keine längere theoretische Hinführung auf eine konzeptionelle Eingrenzung des Terrorismusbegriffs gibt. Stattdessen wird die von English 2016 ausgearbeitete Terrorismus-Definition fertig und unter entsprechendem Literaturverweis in den Fußnoten präsentiert (1). Umso bemerkenswerter ist es dann jedoch, dass der Autor eine systematische Definition dessen, was er unter Terrorismusabwehr versteht, vermeidet. English selbst begründet diese Nähe im Vorgehen der Untersuchung zur Vorgänger-Publikation mit der konzeptionellen Verwobenheit von Terrorismus beziehungsweise Terrorismusabwehr (5). Nicht zuletzt setzt English auf diese, wenn auch ungewöhnliche Weise die Arbeit mithilfe seines bewährten Forschungsdesigns fort.
Die Operationalisierung jenes Analyserasters verläuft erfolgreich und ordnet die Empirie erfrischend differenziert ein. So seien die USA ihrem zu Beginn des War on Terror gesetzten strategischen Ziel der vollständigen Neutralisierung des Terrorismus in der Welt nie zufriedenstellend nachgekommen (43). Dies stehe in starkem Kontrast zu den politischen Zielen des Vereinigten Königreichs, das im Rahmen der Kämpfe mit der irischen Provisional Irish Republican Army (PIRA) zu einer Situation zurückzukehren versuchte, in der terroristische Aktivitäten marginalisiert wurden und die öffentliche Ordnung somit stabil aufrechterhalten werden konnte (88). Insbesondere auf substrategischen Analyseebenen deckt English allerdings bemerkenswerte Widersprüche innerhalb der jeweiligen Fälle auf: So sei die militärische Besetzung des Iraks zu Beginn erfolgreich gewesen (36), die fehlende US-amerikanische Sensibilität für die Notwendigkeit von nachhaltigem State Building habe letztlich aber zu staatlicher Fragilität geführt, die, wie sich herausstellen sollte, einen geeigneten Nährboden für den Islamischen Staat geboten habe (40 ff.). Ebenso ambivalent: Obgleich der massenhafte Einsatz von Aufklärungs- und Kampfdrohnen aus militärischer und geheimdienstlicher Perspektive überaus erfolgreich gewesen sei, biete ihr Einsatz Steilvorlagen für kritische und antiamerikanistische Informationskampagnen (47). Ähnlich fällt der Befund für Israels Anti-Terrorbemühungen aus. So seien Einsätze häufig genug taktisch effektiv gewesen (wie etwa die Tötung oder die Gefangennahme von hochrangigen Persönlichkeiten), generierten auf längere Sicht jedoch neue terroristische Aktivität – wie zum Beispiel die Invasion im Libanon 1982, die zur Gründung der Hisbollah führte (129 ff.). Im Falle der Bekämpfung der PIRA, sei – ebenfalls auf taktischer Ebene ‑ die militärische, geheimdienstliche und polizeiliche Aufklärungsarbeit erfolgreich gewesen, jedoch hätten kollektive Verhaftungen zu einem vorübergehenden Verlust des Rückhalts in der lokalen Bevölkerung geführt – ähnlich, wie bei den von den USA durchgeführten Folterverhören von Terrorverdächtigen (53, 108).
Die Fallbeispiele, deren Auswahl ein dezidiertes Interesse an einem historischen Verständnis von Terrorismusabwehr zugrunde liegt, sind trotz ihres Umfangs angenehm klar eingegrenzt und strukturiert aufgearbeitet. Zudem vermeidet English längere Ausführungen, sondern kommt schnell zu Bewertungen. Diese folgen an vielen Stellen dem Muster eines Für und Wider und tragen der selbstauferlegten Perspektivvielfalt Englishs Rechnung. Bei allen Beobachtungen und Feststellungen, sind abstrahierende Zusammenfassungen rar. Insofern, wem der zeitintensive Spannungsbogen von der abwägenden Einordnung eines Falls bis hin zu dessen endgültiger Beurteilung zu lang erscheint, dem sei ein kurzes Spicken in das Fazit verziehen. Allerdings: Wer im Fazit eine klare Ja- oder Nein-Antwort auf die im Titel gestellte Frage erwartet, muss enttäuscht werden. Vielmehr sei das vom Autor verwendete Forschungsdesign dazu bestimmt, „[to] simultaneously […] recognize the positive, negative, and ambiguous achievements of counter-terrorism, and the important relations between these” (159). English vermag nicht, eine über die Zusammenfassung der Befunde hinausgehende, kompakte Antwort auf die Kernfrage zu geben. Stattdessen formuliert er seine Leitfrage im letzten Teil des Fazits um: „what will make counter-terrorism more likely to be effective in practice?“ (163). An deren Ende gibt er insgesamt neun Kennzeichen an, als Handlungsempfehlungen verfasst, die Terrorismusabwehr erfolgreich machen. Zu nennen wäre beispielsweise die Notwendigkeit realistische Ziele zu setzen und diese anschließend nachhaltig zu verfolgen (163). Oder ein breiteres Verständnis von Terrorismus anzuwenden und diesen als ein symptomatisches Phänomen tiefverwurzelter sozialer Konfliktursachen zu begreifen (171). Ein weiteres Ergebnis ist die Vorhersage, dass die Terrorismusbekämpfung umso erfolgreicher sein werde, je mehr sie den geltenden moralischen Normvorstellungen angepasst sei (176). Obwohl diese Empfehlungen aus den Fallbetrachtungen abgeleitet sind, erscheinen sie wenig innovativ. Auch wenn also keine eindeutige Antwort darauf gegeben wird, ob Terrorismusabwehr funktioniert oder erfolgreich ist, so identifiziert English – immerhin – Kennzeichen, die Terrorismusabwehr erfolgreich machen.
Abgesehen von dieser methodischen Unzulänglichkeit, erfüllt „Does Counter-Terrorism Work?“ jedoch seinen eigenen Anspruch, sich dem Thema systematisch aus historischer Perspektive und ohne normative Aufgeregtheit zu nähern (159).
Richard English verfolgt mit dem Buch ein gesamtgesellschaftlich relevantes Thema, dem sich in dieser Direktheit und Deutlichkeit noch niemand angenommen hat. Er führt in verständlicher Sprache durch seine Überlegungen und wägt seine eigenen Thesen kritisch mit zahlreichen Beispielen ab. Insofern ist das Werk nicht nur seines Erkenntnisinteresses wegen wert gelesen zu werden, sondern auch wegen seiner zahlreichen Exkurse in die taktischen Unwägbarkeiten und politischen Entscheidungsfindungen der Terrorismusbekämpfung. Abschließend sei noch der bibliografische Essay im hinteren Teil des Buches erwähnt. Hierin führt der Autor in die breitere Literaturlandschaft zum Thema Terrorismusbekämpfung ein, identifiziert aktuelle Trends und verortet die eigenen Ergebnisse. Mit seinem angenehm erzählenden Sprachstil bietet dieser Essay für jede interessierte Person einen hervorragenden Ausgangspunkt für eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Thema.
Anmerkungen
[1]Als ein Beleg hierfür siehe die Kurzvorstellung des Buches bei dem Video- und Präsentationsformat TED: https://www.ted.com/talks/richard_english_does_terrorism_work (letzter Zugriff am 17.02.2024).
Außen- und Sicherheitspolitik