Die ukrainische Revolution und das Versagen deutscher Außenpolitik. Mit Bezügen zu Hannah Arendt
Mit der Ukraine kämpft erstmals wieder ein souveräner Staat innerhalb Europas militärisch um die Erhaltung der Freiheit. Doch was bedeutet dieser nicht unumstrittene Begriff im Politischen eigentlich? Und welche Anzeichen des aufziehenden Kriegs haben wir in unserem Verständnis von Russland sowie von unserer Freiheit und (Energie-)Sicherheit im Rahmen der bundesdeutschen Sicherheitspolitik nicht entschlüsseln können (oder wollen)? Mit Hannah Arendt könnten wir Freiheit neu denken, so Bruno Heidlberger. Um aus strategischen Fehlern, die beispielsweise auf einem rein ökonomischen Begriff von Politik beruhen, zu lernen.
Mit der Ukraine kämpft erstmals wieder ein souveräner Staat innerhalb Europas militärisch um die Erhaltung der Freiheit. Doch was bedeutet dieser nicht unumstrittene Begriff im Politischen eigentlich? Und welche Anzeichen des aufziehenden Kriegs haben wir in unserem Verständnis von Russland sowie von unserer Freiheit und (Energie-)Sicherheit im Rahmen der bundesdeutschen Sicherheitspolitik nicht entschlüsseln können (oder wollen)? Mit Hannah Arendt könnten wir Freiheit neu denken, so Bruno Heidlberger. Um aus strategischen Fehlern, die beispielsweise auf einem rein ökonomischen Begriff von Politik beruhen, zu lernen. (tt)
Ein Essay von Bruno Heidlberger
Der Traum von Europa und der Kampf für die Freiheit
Putin führt einen Krieg, den in Russland niemand „Krieg“ nennen darf, gegen ein souveränes Land, das für Russland nie eine Bedrohung darstellte. Putins Krieg richtet sich aber auch gegen die USA, die EU, die NATO, gegen den liberalen Westen und gegen sein eigenes Volk. Für den in der Sowjetunion sozialisierten russischen Präsidenten war deren Zusammenbruch auch eine persönliche Tragödie. Er fordert eine neue Jalta-Konferenz und das Ende der Helsinki-Vereinbarungen. Den Status quo nach dem Abzug der Truppen aus Mittel- und Osteuropa war Moskau nie bereit zu akzeptieren und wartete auf einen günstigen Zeitpunkt zu einem „Roll-back“. Die Vernichtung der ukrainischen Nation, ihrer Kultur und ihre Russifizierung sind das Ziel der sogenannten „Spezialoperation“, aber auch eine neue multipolare Weltordnung, was Putin schon 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz deutlich gemacht hatte. Der 24. Februar, der Beginn des russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, ist nun ein historisches Datum.
Am Anfang der ukrainischen Freiheitsbewegung stand der Sehnsuchtsort von Europa. Junge Ukrainer*innen gingen 2013 auf die Straße, erst für eine engere Bindung ihres Landes an die EU, dann für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit. Sie wollten nicht länger unter dem Diktat der russischen Interpretation von Geschichte stehen, sondern über ihr Leben, ihren Reichtum und ihre Würde selbst bestimmen. Was der Ukraine droht, wenn sich dieser Traum nicht erfüllt, zeigt der Krieg in erschreckender Klarheit. „Wenn wir kapitulieren, sind wir in der Sklaverei – der brutalsten Sklaverei, die man sich vorstellen kann“, sagte einer der bekanntesten ukrainischen Schriftsteller, Jurij Andruchowytsch1. In Europa habe man angesichts des Schreckens des Zweiten Weltkrieges mit der Idee gelebt, dass das menschliche Leben der höchste Wert sei. Die Idee, das eigene Leben für etwas zu geben, sei in diesen postheroischen Gesellschaften aus der Zeit gefallen. „Aber ich würde sagen“, so Andruchowytsch weiter, „dass menschliches Leben nicht nur eine physische Seite hat. Zum menschlichen Leben gehört die Würde“2. Und Würde sei ohne Freiheit nicht vorstellbar. Damit erinnert uns Andruchowytsch nicht nur an die Idee der Aufklärung, wonach die den Menschen auszeichnende Würde die Freiheit ist, sondern an den Zentralbegriff Hannah Arendts, an ihren Begriff von Politik als Freiheit.
„Und Freiheit ist nicht nur eines unter den vielen Phänomenen des politischen Bereichs, wie Gerechtigkeit oder Macht oder Gleichheit; Freiheit – auch wenn sie direktes Ziel politischen Handelns nur in Zeiten der Krise, des Krieges oder der Revolution sein kann – ist tatsächlich der Grund, warum Menschen überhaupt politisch organisiert zusammenleben. Der Sinn von Politik ist Freiheit, und ohne sie wäre das politische Leben sinnlos.“3
Revolutionen und Kriege sind nach Arendt Grenzphänomene des Politischen, weil sie Momente der Gewalt aufweisen. Anders als Kriege, sind Revolutionen konstitutiv für das Politische. Ziel der modernen Revolutionen sei sowohl Befreiung wie auch Freiheit. Für Arendt ist das „Eindringen der Freiheitsvorstellungen in die Diskussion über den Krieg und den berechtigten Gebrauch von Gewaltmitteln“4 relativ neueren Datums. Politische Beziehungen stehen für Arendt normalerweise nicht im Zeichen der Gewalt. „Wenn in unserem Jahrhundert der Krieg überhaupt eine zu rechtfertigende Handlung ist, dann wären solche Kriege der Rebellion und Befreiung die einzigen Vorläufer, die seine Verteidiger heranziehen könnten“5 notierte Arendt in ihrem im Connecticut College 1961 gehaltenen Vortrag Revolution and Freedom.
Die Schlafwandler und die Zeitenwende
Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen begann Russland unter dem Vorwand einer NATO-Dolchstoßlegende und eines Kampfes gegen den Faschismus am 24. Februar 2022 einen Großangriff auf die Ukraine, der an den Einmarsch der Roten Armee 1939/40 in Polen, im Windschatten von Hitlers Vernichtungskrieg zur Neuordnung Europas, erinnert. Was wir dann, auch in Deutschland, erlebten, war ein kollektiver Schock. Bundeskanzler Scholz sprach von einer „Zeitenwende“. Große Teile von Politik und Gesellschaft hatten nicht realisiert, dass sich Russland seit den 1990er-Jahren mehr und mehr zu einer revanchistischen Macht entwickelt hatte.
Wir waren zu verliebt in unseren Frieden, den wir für einen ewigen hielten, in unseren kleinen oder großen Wohlstand, zu sehr mit den alltäglichen Dingen beschäftigt und vergaßen die Welt um uns herum. Friedenspolitische Aktivitäten konzentrierten sich zumeist auf die Kritik an der US-amerikanischen Außenpolitik. Putin galt bis 2014, trotz Tschetschenien und Georgien, als friedlicher und gegenüber dem Westen kooperationswilliger Staatschef. „Von Russland geht seit dem Ende der Sowjetunion keine Gefahr aus, das heutige Russland erscheint friedlicher und weniger imperialistisch als jemals in seiner Geschichte, [...] auch wenn einige Amerikaner und viele Polen das immer noch glauben wollen“6, bemerkt Helmut Schmidt 2007 in seiner Autobiographie. Die US-amerikanischen Regierungen hingegen hätten die „Zusagen, die sie 1990 der Sowjetunion gemacht haben“, die NATO nicht nach Osten zu erweitern, nicht gehalten7. Der bisherige Forschungsstand kann das nicht bestätigen.8
Die deutsche Erinnerungskultur mit dem „Nie wieder Faschismus“, sah in Russland noch lange den Befreier, statt sich mit der russischen Gegenwart zu konfrontieren und den neuen Faschismus in Russland tatsächlich zu bekämpfen. Besonders die ältere Generation, die die blutigen Schlachten des Zweiten Weltkriegs erlebt hatte, wie die Generation eines Helmut Schmidt oder Jürgen Habermas, glaubte, das Licht des Friedens nach Russland tragen zu müssen. Sie trug schwer an Trauer, Scham und Schuld, unfähig, weil traumatisiert, eine andere Perspektive einzunehmen. Andere Schauplätze von Hitlers Mordfeldzügen, die Ukraine und Weißrussland, kamen in dieser Wahrnehmung nicht vor. Die Unterwanderung der westdeutschen Friedensbewegung während des Kalten Krieges durch den Kreml verunsicherte ganze Generationen mit „alternativen Fakten“. Bis zuletzt glaubte man, wie Helmut Schmidt, wer Handel treibt, schießt nicht. Welch ein Irrtum!
Wie konnte es soweit kommen?
Nicht nur sicherheitspolitisch, auch intellektuell, schienen wir völlig blank zu sein. Die vielen Opfer jahrelanger russischer Propaganda konnten in dem von Putins Trollen verbreitetem Nebel nicht erkennen, dass der Majdan, auf dem 2013/14 mehrere Hundertausende zusammenkamen, einen demokratischen Zukunftstraum verkörperte. Die sich hinter dem Appell Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen! vom Dezember 2014 Versammelten, wie Gerhard Schröder, die ehemalige ARD-Korrespondentin in Moskau Gabriele Krone-Schmalz, Helmut Kohls ehemaliger Amtsleiter Horst Teltschik oder die Grüne Antje Vollmer, kritisierten die für „Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau.“9 Eine Reihe von Politiker*innen und Osteuropaexpert*innen sahen das völlig anders. Russland trete in der Ukraine eindeutig als Aggressor auf.10 Der Krieg in der Ukraine spaltete Deutschland und die europäische Öffentlichkeit damals, ebenso wie heute, mit ähnlichen personellen Allianzen. Schon 2014 äußerten Linke wie Rechte Verständnis für Putin und für seinen Anspruch auf die Ukraine. Putin hätte sich gegen die angebliche Arroganz der NATO nur noch mit dem Ukraine-Feldzug zur Wehr setzen können. „Dass er für seine Massenmode von Grosny bis Aleppo keine NATO-Ausrede hatte und brauchte, ist ihnen genauso egal wie den russischen Generalen so was wie Moral“11, bemerkt der Schriftsteller Maxim Biller rückblickend. Für Rechte wie für Teile der politischen Linken gehörte die Ukraine zu Russland. Selbst Helmut Schmidt sekundierte einmal Moskaus Anspruch auf die Krim mit der These, unter Historikern sei ‚umstritten‘, ob es überhaupt eine ‚ukrainische Nation‘ gebe, so Florian Hassel12. Ein Fehlurteil, das nicht überrascht, so der Schweizer Historiker Andreas Kappeler: Der Westen übernehme „unbesehen die russische Sichtweise, die seit zwei Jahrhunderten die Deutungshoheit hat“13.
Der Ausverkauf der Freiheit
„Aber seit dem 24. Februar wissen wir, worum es wirklich geht: Er hat uns über Jahre in die Irre und an der Nase herumgeführt, begleitet von einem Netzwerk deutscher Unternehmer und Politiker, die“, wie es Friedrich Merz formuliert, „ihren Verstand dem Geldverdienen untergeordnet haben“14. Die politischen und wirtschaftlichen Eliten, besonders die „Russland-Versteher“, haben Russland, auch wegen robuster Eigeninteressen, nicht verstanden oder nicht verstehen wollen. Sie haben Deutschland energiepolitisch einem autoritativen Monopolisten ausgeliefert und gingen darüber hinaus einen gefährlichen deutsch-russischen Sonderweg. Die Warnungen der osteuropäischen und baltischen Nachbarn wurden nicht ernst genommen. Diejenigen, die eine werteorientierte Außenpolitik einforderten, gar den Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2, wurden als Hypermoralisten und realitätsfern verhöhnt. Von der Friedensdividende konnte man gut leben. Deutschland wollte wie eine große Schweiz sein, die mit allen gute Geschäfte macht, sich aber aus Konflikten heraushält. Der Nationalpazifismus zeigt hier seine egoistische Seite; und auch einen kaum verhohlenen Antiamerikanismus.
„Die EU hat im vorigen Jahr aus Russland Erdöl und Erdgas im Wert von 90 Milliarden Euro importiert. Russlands Militärbudget betrug im selben Jahr 62 Milliarden Euro“15. Russland nutzt das Geld, um seine Wirtschaft gegen die Sanktion zu stabilisieren und seinen Krieg gegen die Ukraine weiter zu finanzieren. In seiner Rede im Deutschen Bundestag am 17.03.2022 betonte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj: „Wir haben immer gesagt, Nord Stream 2 ist eine Waffe; ihr habt immer gesagt, das ist Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“16. So sei diese Pipeline „zum Zement der Mauer geworden hinter der sich Deutschland nun wieder befinde.“17
Es rächt sich nun, dass man glaubte, materieller Wohlstand würde automatisch zu Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte führen. Das optimistische Konzept einer deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft „Wandel durch Verflechtung“ prägte die Russlandpolitik vor allem von Schröders SPD, aber auch von Angela Merkel. „Wirtschaftsliberalismus und die sozialdemokratische Ostpolitik haben auf ungute Weise zusammengewirkt“18, meinte Ruprecht Polenz, bis 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages für die Union. Merkel habe Putin zwar misstraut, ihn aber als einen berechenbaren Politiker, der sich innerhalb seines Koordinatensystems zweckrational verhalte, wahrgenommen.
Im Nachhinein wird deutlich, dass Merkel nicht in der Lage war, Putins „Koordinatensystem“ zu lesen oder es nicht wollte, obwohl seine neoimperiale und antiliberale Politik sichtbar war. Sie setzte auch nach 2014 auf sein Wort. Trotz der Annexion der Krim und der Inbesitznahme von Teilen der Ostukraine durch russische Separatisten wurde im September Nord Stream 2 unterzeichnet. Und dies, obwohl die EU an einer „Energieunion“ arbeitete, um sich unabhängiger von russischen Importen zu machen. Mehrere Transitländer protestierten, auch die Ukraine; Polen und die USA lehnten das Pipeline-Projekt ebenfalls ab. Ein folgenschwerer Fehler der deutschen Politik.19
Der Lauf ins offene Messer
Das Konzept Egon Bahrs, Wandel durch Annäherung, war aber schon damals aus der Zeit gefallen, wie Heinrich August Winkler, Historiker und SPD-Mitglied 2016, kritisierte. „Die SPD sollte sich in der Russland-Politik in Realismus statt in Wunschdenken üben. Putin will die Revision der Grenzen Europas“20. Ebenfalls 2016, also zwei Jahre nach Russlands Überfall auf die Ukraine, forderte der ehemalige Außenminister Frank Walter Steinmeier eine Lockerung der EU-Sanktionen und kritisierte ein NATO-Manöver in Osteuropa als „Säbelrasseln“ und „Kriegsgeheul“.
Konnte Steinmeier Putin lesen? Selbst 2021 verteidigte und begründete er noch den Bau der Pipeline mit der besonderen historischen Verantwortung für die deutschen Verbrechen gegen die Sowjetunion, was für die Ukraine, die selbst Millionen Opfer zu beklagen gehabt hatte, einer schallenden Ohrfeige gleichkam. Eine „bittere Bilanz“, so fasste Steinmeier im vergangenen April Deutschlands „Fehler“ in der Russlandpolitik der letzten 20 Jahre zusammen21. Seine eigentliche Abkehr von Putin hatte er erst in der Rede nach seiner Wiederwahl zum Bundespräsidenten am 13. Februar 2022 vollzogen. Olaf Scholz hielt North Stream 2, vermutlich wider besseren Wissens und nach jahrelangen Protesten der Osteuropäer, noch vor wenigen Monaten für ein „rein privatwirtschaftliches“ Projekt22“.
War das aus damaliger Sicht eine angemessene Politik? Hatten Merkel und Steinmeier zu viel Verständnis für Putin? War es nur eine sentimentale Fehleinschätzung, die in diese fatale existenzielle (Energie-)Abhängigkeit führte, oder gar „die Bereitschaft zur finanziellen oder moralischen Korruption“23, wie Christian Bangel fragte. „Es war klar zu sehen: Wer Nord Stream 1 und Nord Stream 2 unterstützt, der bezahlt damit Putins Kriegsmaschine24“, erklärt der dänische Journalist und Nord-Stream-Experte Jens Hovsgaard in seinem Buch Gier, Gas und Geld. Nachdem Schröder die Politik verlassen hatte, sei Steinmeier für Putin die wichtigste Brücke in die deutsche Politik gewesen. Merkel habe das Netzwerk Schröder-Steinmeier-Schwesig-Putin gewähren lassen25. Der Osteuropaexperte Stefan Meister sieht den Ursprung der falschen Russlandpolitik der Bundesregierung im Jahr 2008; spätestens aber 2014 hätte man lernen können und müssen. Das Festhalten der Regierung an ihrer Strategie „Wandel durch Handel“ nennt Meister „Realitätsverweigerung“26.
„Diese Tragödie war absehbar. Die deutsche und europäische Politik hat viel zu lange die Augen vor der Gewaltpolitik des Kremls verschlossen“27, erklärt Marieluise Beck im April 2022. Wir haben uns viel zu lang in eine selbstverschuldete Abhängigkeit eines Paria-Staats, der jedwede Freiheit und Menschenwürde verachtet, begeben. Spätestens mit der Krim-Annexion hätte man mehr auf Abschreckung und auf eine andere Energiepolitik setzen müssen. Viel zu lang nach der Krim-Krise 2014 haben Deutschland und Frankreich völlig unrealistische Beschwichtigungs- und Anbiederungspolitik an Russland betrieben und auf diplomatische Lösungen gepocht. Merkel konnte oder wollte Putin nicht lesen.28 Die Appeasement-Politik ist mit dem 24. Februar 2022 endgültig gescheitert. „Wir hätten“, so der Politikwissenschaftler Joachim Krause, „in dieser Zeit sehr viel machen können, um das Risikokalkül Russlands zu beeinflussen [...] das hätte man alles verhindern können, aber es ist nicht getan worden.“29
Es ist ein Fehler zu glauben, mit einem Diktator und Kriegsverbrecher eine vertrauensvolle Basis aufbauen und, wie mit einem Demokraten, verhandeln zu können. Tritt an die Stelle der UN-Charta ein metaphysisches Dogma von Geschichte, ist der gemeinsame Boden der Wirklichkeit verloren. Der Diplomat Jens Plötner, der Steinmeier fast immer bei Treffen begleitete und Ideengeber seiner Russlandpolitik war, verstehe sich als kühler Analytiker30. Mit Ideologien31 und nationale Mythen, die man im 21. Jahrhundert überwunden glaubte, rechne auch Plötner, der heute sicherheitspolitischer Berater von Olaf Scholz ist, nicht. Gefangen im Paradigma des kommunikativen Handelns von Habermas, bei dem die Akteure versuchen, ein gemeinsames Verständnis zu erreichen und Handlungen durch vernünftige Argumentation, Konsens und Kooperation zu koordinieren, statt strikt auf die Verfolgung ihrer eigenen Ziele zu setzen, wurde vergessen, was die Welt nur einige Jahrzehnte zuvor selbst erlebt hatte: Auch das Münchner Abkommen vom 30. September 1938 konnte the peace for our time nicht retten.
Im Vertrauen auf das gute Argument, im Vertrauen auf die Vernunft, „die gegebene Tatsächlichkeit meistern, nur für menschliche Zwecke einrichten und ändern zu können32“, mit „diesem Stolz gerade, der in der abendländischen Tradition zumindest mit zu der Würde des Menschen gehörte, ist es in der totalitären Welt vorbei33“, bemerkt Hannah Arendt in ihrem Werk Elemente und Ursprünge totalitärer Diktatur. Ein Tatbestand, den insbesondere die Menschen in der Ukraine, aber auch Frau Merkel und Herr Steinmeyer, und nach dem 24. Februar auch die westliche Welt und die Menschen in Russland, auf die jeweils eigene Weise erleben. „Der gesunde Menschenverstand, sich auf die Wirklichkeit so ausgezeichnet zu verstehen, ja für sie allein zuständig zu sein, ist diesem ideologischen Suprasinn gegenüber hilflos. Hier zeige „sich nachträglich, dass die Ideologien des 19. Jahrhunderts und die kuriosen Weltanschauungen des wissenschaftlichen Aberglaubens und der Halbbildung nur so lange harmlos sind, als niemand im Ernst an sie glaubt“34. Hinweise gab es genug. Der Überfall auf die Ukraine am 24. Februar hat die Grenzen des Konzepts Wandel durch Handel und die des kommunikativen Handelns bei entgegengesetzten Wertesystemen aufgezeigt. Irrationalst*innen und Verschwörungserzähler*innen gibt es nicht nur in Russland, auch bei uns. Weltweit sind sie auf dem Vormarsch. Umso mehr erhellt ein Hoffnungsstrahl unsere finstere Zeit, dass primär Freiheit und Würde des Menschen wie die der Natur und nicht Wirtschaft im Zentrum der Politik zu stehen haben. Das ist das Mindeste, was wir aus dieser Katastrophe lernen sollten.
In einer vergleichbaren Situation, im Angesicht des drohenden Atomkrieges, bemerkte Arendt 1962: „So ist der Begriff der Freiheit, der lange Zeit zugunsten der Vorstellung, Ziel aller Herrschaft sei nicht die Freiheit, sondern die Wohlfahrt des Volkes, das Glück der höchsten Zahl, aus den politischen Diskussionen irgendwie verschwunden war, nun ins Zentrum der Staatskunst zurückgekehrt“35. Putin hat unsere Illusionen am 24. Februar endgültig zerstört und uns die Alternative von Freiheit und Unfreiheit vor Augen geführt.
Politik ist Freiheit
Der Frieden ist kein natürlicher Zustand. Er muss gestiftet werden, zur Not mit den Mitteln militärischer Abschreckung. Es war eine große Naivität sich in Fragen der Energie, der Basis jeder Gesellschaft, von einem Despoten und Kriegsverbrecher abhängig zu machen, der Energie als Waffe in einem Wirtschafskrieg gegen uns einsetzt. Für Arendt ist das Ziel der Politik Freiheit. Damit Freiheit, politisches Handeln und die Republik lebt, darf der Staat nicht unter die Dominanz ökonomischer Interessen fallen. Aufgabe der Politik ist die Ermöglichungsbedingungen von Freiheit für alle zu erweitern. Dann muss das Ziel jeder Politik, auch von Energiepolitik, Freiheit sein. Erneuerbare Energien gelten inzwischen als Freiheitsenergien; auch die Mittel für den Verteidigungshaushalt sind Investitionen in unsere Freiheit. Individuelle Freiheit und Gemeinsinn bilden keine Gegensätze und bedingen einander. Wir stärken so unsere Autonomie, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt, unsere Resilienz und unsere Sicherheit. Freiheit, Menschenrechte und Ökologie, insbesondere die Abkehr von fossilen sowie der Ausbau der erneuerbaren Energien und der ökologische Umbau der Gesellschaft, sind keine Luxusfragen. Sie bilden heute das normative Fundament jeder Realpolitik.
Das, was die Ukraine vom Westen Europas unterscheidet, ist nicht nur die Unmittelbarkeit, in der sich Freiheit und Sklaverei gegenüberstehen. Es ist auch die reale Möglichkeit der Gewalt. „Das Leben in dieser hoch komfortablen Welt, dieser warmen Badewanne des Daseins“, sagt der ukrainischen Schriftsteller, Jurij Andruchowytsch, das habe die Menschen im Westen beeinflusst und es ihm fast unmöglich gemacht, mit den Nöten seines Landes durchzudringen. „Es ist“, so Andruchowytsch, „die Negation der Möglichkeit eines Krieges“36. Neben dem öffentlichen Mitgefühl und der großen Hilfsbereitschaft werden auch Wohlstandssorgen reklamiert, als sei die Politik gegenüber der Macht des Marktes genauso hilflos wie gegenüber Putins Panzern. Die Zumutungslosigkeit der Politik der letzten 16 Jahre scheint jetzt in der zögerlichen und defensiven Ukrainepolitik des Bundeskanzlers ihre Fortsetzung zu finden. Für manche in der SPD war es immer noch schwer, die Zeitenwende nachzuvollziehen.37 Der SPD-Politiker Ralf Stegner behauptete beispielsweise nach der dritten Kriegswoche, „es werde kaum eine militärische Lösung ‚zugunsten‘ der Ukraine geben“38. Verbirgt sich hinter dem Ruf an die Ukrainer*innen nach einem schnellen Ende der Kampfhandlungen nicht auch nationaler Egoismus unter dem Vorwand das Leid zu beenden? Wo weiterhin eine solche Reduktion von Freiheit auf das Ökonomische, auf den „sozialen Frieden“, auf Wohlstand und auf das nationale Interesse vorhanden ist sowie die Reduktion des liberalen Ideals auf einen technokratischen, selbstoptimierten Individualismus und des Einzelnen auf einen wohlstandsatten, politisch wenig engagierten Konsumenten vorherrscht, gilt es zu bedenken: Hannah Arendt hat in ihrer Zeit bei einer Wiederkehr des „Bösen“ vor dessen gleichzeitiger Ausblendung aus Gründen, wie oben genannt, in ihren Schriften gewarnt.
Arendt machte immer wieder deutlich, dass soziale Sicherheit zwar die Voraussetzung von Freiheit ist, aber keine hinreichende Bedingung für ihren Erhalt. Für Arendt ist Freiheit immer politisch, die sich beim Zusammenwirken Freier und Gleicher in der republikanischen Öffentlichkeit realisiert. Diese Freiheit setze die Befreiung von Zwang, Bevormundung, Not und Furcht voraus, erschöpfe sich aber nicht darin. Freiheit sei das Leben und die Teilhabe in einer Welt, die zum Stoff des Handelns werde und sich nicht im Selbstgenuss erschöpfe. Es ist die Freiheit, die Welt zu verändern.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Freiheit dem Versprechen von Wohlstand und Frieden zum Opfer gebracht wird. Wer ein bequemes Leben und materielle Güter der Freiheit vorzieht, kann seine Freiheit, wie auch seine Würde, verlieren. Die uralte Weisheit „lieber den Tod als die Sklaverei“, bemerkte Arendt in ihrem Vortrag in Connecticut im Oktober 1961, „gründete auf der antiken Überzeugung, dass man aufhört, menschlich zu sein, wenn man ein Sklave“ werde, denn „Frei-zu-sein und Mensch-zu-sein waren einst identische Vorstellungen“39. Arendt bezweifelt, dass die Leute damals wirklich an Freiheit dächten, wenn sie den Slogan „lieber tot als rot“ hören. Bei Freiheit schwebe ihnen vielmehr „eine Lebensweise und ein Lebensstandard vor, welche Ergebnis von Überfluss sind und selbst in einem Zustand der Freiheitsberaubung weiter bestehen und genossen werden können.“40 Arendt betonte hier schon Anfang der 1940er-Jahre die Bedeutung des Kampfes für die Freiheit vor dem Hintergrund der Prüfungen des 20. Jahrhunderts, des Nationalsozialismus und des Kommunismus. Hitler beispielsweise stellte die Mehrheit der Deutschen mit sozialpolitischen Wohltaten ruhig. „Den Deutschen ging es im Zweiten Weltkrieg besser als je zuvor, sie sahen im nationalen Sozialismus die Lebensform der Zukunft – begründet auf Raub, Rassenkrieg und Mord“41, notiert der Historiker Götz Aly. Auch Russlands Krieg basiert auf Raub, Völkermord und Wohltaten für seine Bevölkerung und Unterstützer.
In dem Text „Ausrottung der Juden“, den Arendt 1942 für die deutsch-jüdische Zeitung Aufbau verfasste, forderte Arendt den Aufbau einer jüdischen Armee, machte aber auch deutlich, dass es nicht allein um „das Schicksal der Juden“ gehe. Ihr Schicksal habe „immer klarer angezeigt“, wohin „die Reise“ gehe. Es habe Jahre gebraucht, bevor nicht nur Juden überfallen wurden, sondern auch Tschechen, Norweger, Holländer und Franzosen. Auf diese Zusammenhänge weist die damals 36-jährige Arendt in ihrem Text mit drastischen Worten hin:
„Und es war einmal eine verruchte Zeit, als schwachsinnig gewordene Intellektuelle erklärten, das Leben sei der Güter höchstes. Gekommen ist heute die furchtbare Zeit, in der jeden Tag bewiesen wird, dass der Tod seine Schreckensherrschaft genau dann beginnt, wenn das Leben das höchste Gut geworden ist: daß der, der es vorzieht, auf den Knien zu leben, auf den Knien stirbt; dass niemand leichter zu morden ist als der Sklave. Wir Lebenden haben zu lernen, daß man auf den Knien noch nicht einmal leben kann, daß man nicht unsterblich wird, wenn man dem Leben nachjagt, und daß, wenn man für nichts mehr sterben will, man stirbt, obwohl man nichts getan hat.“42
Die Politik der Unfreiheit war nicht nur von Not getrieben, sie hatte auch ihren eigenen Reiz. Beide totalitäre Systeme, Nationalsozialismus und Stalinismus, versprachen Zusammengehörigkeitsgefühl und Gemeinschaft. Nicht Freiheit war es, was viele suchten, sondern Bindung, Führung und ideologische Verklärung. Für Arendt können nur die Menschen frei genannt werden, die sich unter Freien und Gleichen bewegen. „Der Sinn von Politik ist Freiheit, und ohne sie wäre das politische Leben sinnlos“, sagte sie in einem Vortrag am 22. Mai 1958 im Rahmen des Vortragszyklus Erziehung zur Freiheit in Zürich.43 Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte ganz in diesem Sinn:
„Wir haben nichts zu verlieren als unsere Freiheit und Würde. Das ist unser größter Schatz. [...] Wenn ihr uns angreift, werdet ihr unsere Gesichter sehen, nicht unsere Rücken“. [...] „Wir sind keine Sklaven und werden nie welche sein. Das ist unser Wille und unser Schicksal. Der Stolz auf unsere Streitkräfte ist grenzenlos. [...] Liebe Bürger der russischen Föderation, heute Nacht wurden Wohngebiete in Kiew bombardiert. Dies erinnert an 1941.“44
Putins Krieg erinnert uns daran, dass Freiheit notfalls auch bewaffnet verteidigt werden muss. Jetzt ist plötzlich der Feind wieder zurück. Politik, besser gesagt die alltägliche Beschäftigung damit, wurde bislang weitgehend auf die Parteien, das Parlament, der Regierung, der Opposition und den damit verbundenen Instrumenten zur gegenseitigen Kontrolle ausgelagert. Zu lange, so der Soziologe Armin Nassehi, hätten wir die Demokratie so lediglich als eine Art Dienstleister wahrgenommen, „dem der Konsument das Vertrauen entzieht, wenn die Ergebnisse nicht stimmen“ 45. Sichtbar wurde das schon in der Covid-19-Pandemie. Demokratie und Freiheit sind indes keine Geschenke, sie sind eine Aufgabe und Lebensform, die von der gesamten Gesellschaft immer wieder errungen und verteidigt werden muss, nach innen und außen. Liegt die Macht ohne jedwede demokratische Kontrolle und Mitbestimmung nur in den Händen der Eliten, wie in Russland, gehen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zugrunde.
Liberalismus erneuern
Am 28. April 1942 wandte sich Präsident Franklin D. Roosevelt über das Radio an die US-amerikanische Bevölkerung. Er warb dafür, abends das Licht auszumachen, auf den Straßen spritsparsam nicht schneller als 35 Meilen/h zu fahren, einen Spitzensteuersatz für 94 Prozent zu tolerieren, den Fleischkonsum stark einzuschränken, und all dies, um das Hitler-Regime durch energiesparende ‚Selbstversagung‘ zu bekämpfen: „Wenn wir am Ende dieses großen Kampfes unsere freiheitliche Art zu leben gerettet haben, wird all das kein ‚Opfer‘ gewesen sein“46. Was hätte Roosevelt, dessen Land sich bereits seit Dezember 1941 im Krieg gegen Deutschland befand, wohl heute Deutschland geraten? Im Völkerrecht gibt es das Konzept der „Schutzverantwortung“, der responsibility to protect. Es geht aber nicht nur um unsere Verantwortung gegenüber der Ukraine. Die Ukraine ist seit 1989 das erste Land in Europa, das für europäische Werte einen Verteidigungskrieg gegen ein autokratisches Regime führt und damit auch unsere Freiheit verteidigt. Russland muss diesen Krieg verlieren, weil sonst dessen imperialer Gedanke mit all seinen Konsequenzen für die europäische Friedensordnung weiterlebt. Alexej Nawalnyj betont, dass die Gesamtstrategie aber weiter reichen müsse: „Russland muss eine parlamentarische Republik werden, da nur so der endlose Kreislauf aus selbst geschaffenem imperialistischen Autoritarismus durchbrochen werden kann. Auf keinen Fall dürfen wir den Fehler des zynischen westlichen Ansatzes in den Neunzigerjahren wiederholen, als man der postsowjetischen Elite sagte: Ihr könnt dort machen, was ihr wollt, nur gebt acht auf eure Atomwaffen und liefert uns Erdöl und Erdgas.“47
Im Zentrum von Hannah Arendts politischem Denken steht der Totalitarismus, seine Elemente und Ursprünge, seine Bedingungen und Möglichkeiten. Alles ist jederzeit möglich, auch in diesem Jahrhundert. Das Ende von Hitler und Stalin ändert daran nichts. Arendt untersuchte somit nicht nur die Bedingungen der Selbstzerstörung der Moderne, sondern auch die Bedingungen ihres Überlebens und ihrer Zukunft. Ihr Begriff von Politik als Freiheit weist über unser heutiges Verständnis von Liberalismus hinaus. „Es ist höchste Zeit den Liberalismus zu erneuern“48, so Ralf Fücks und Rainald Manthe. Mit Arendt können wir Freiheit neu denken, Antworten auf heutige Fragen müssen wir aber selbst finden.
Anmerkungen
1 Jurij Andruchowytsch zit. nach: Alexander Haneke: Krieg oder Sklaverei, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.03.2022, S. 2.
2 Ebda.
3 Hannah Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken, München 1994, S. 231.
4 Ebda.
5 Ebda, S. 233.
6 Helmut Schmidt: Außer Dienst. Eine Bilanz, München 2007, S. 114, 198f.
7 Helmut Schmidt: a.a.O., S. 117.
8 Karl August Winkler: Die Legende von der versäumten Chance, Internationale Politik, 27.06.2022, https://internationalepolitik.de/de/die-legende-von-der-ver-saeumten-chance. „Weder die NATO noch die Vereinigten Staaten oder eine andere westliche Demokratie haben 1990 oder danach das von Putin behauptete Versprechen abgegeben, und die Sowjetunion hat darauf auch gar nicht bestanden.“
9 Roman Herzog, Antje Vollmer, Wim Wenders, Gerhard Schröder und viele weitere fordern in einem Appell zum Dialog mit Russland auf. ZEIT ONLINE dokumentiert den Aufruf. ZEIT ONLINE, 05.12.2014. https://www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog.
10 Mehr als 100 Osteuropaexperten aus Wissenschaft, Politik und Medien widersprechen den 60 Unterzeichnern des Russland-Aufrufs. Sie betonen, dass Moskau in dem Konflikt als Aggressor auftritt, und mahnen, die territoriale Integrität der Ukraine nicht zu opfern. Der Aufruf im Wortlaut und die Unterzeichner, Der Tagesspiegel, 05.12.2014, https://www.tagesspiegel.de/politik/gegen-aufruf-im-ukraine-konflikt-osteuropa-experten-sehen-russland-als-aggressor/11105530.html.
11 Maxim Biller: Alles war umsonst, DIE ZEIT, 22.03.2022, S. 47.
12 Andreas Kappeler zit. nach: Florian Hassel: Eine Ansammlung historisch „falscher Behauptungen“, Süddeutsche Zeitung, 3.12.2017, https://www.sueddeutsche.de/politik/geschichte-allrussischer-anspruch-1.3772265.
13 Ebda.
14 Friedrich Merz: Wir müssen eingestehen, dass wir uns geirrt haben, DIE ZEIT, 31.03.2022, S. 11. Siehe auch ZEIT ONLINE: https://www.zeit.de/2022/14/russland-ueberfall-ukraine-deutsche-fehlentscheidungen-regierungen.
15 Tobias Münchmeyer: Weltgeist in Blau-Gelb, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.03.2022, S. 36.
16 Wolodymyr Selenskyj zit. nach Johannes Leithäuser: „Ihr wollt lieber Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.03.2022, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/selenskyj-im-bundestag-ihr-wolltet-lieber-wirtschaft-17884053.html?GEPC=s5
17 Ebda.
18 Ruprecht Polenz zit. nach Peter Dausend, Tina Hildebrandt, Mariam Lau, Paul Middelhoff, Robert Pausch und Mark Schieritz: Kann Deutschland diesen Krieg verkraften?, DIE ZEIT, 02.03.2022, S. 2. Siehe auch ZEIT Online am 01.03.2022: https://www.zeit.de/2022/10/zeitenwende-ukraine-russland-krieg-bundesregierung-sicherheitspolitik-aussenpolitik?utm_referrer=https%3A//www.google.com/.
19 Ließ die pragmatisch denkende Kanzlerin, sich zu sehr von ihrem ideologischen Koalitionspartner treiben? Oder hat sie sich gar zur Geschäftsführerin einer Old Economy machen lassen, einer Industrie, deren Anteil an der Wertschöpfung des BIP 2020 nur 26,19 Prozent betrug, die von billigen fossilen Brennstoffen abhängt, aber in der postindustriellen Gesellschaft keine Zukunft mehr hat?
20 Heinrich August Winkler: Die SPD muss erkennen: Putin will die Revision der Grenzen Europas, Vorwärts-Debatte, 14.12.2016, https://www.vorwaerts.de/artikel/spd-erkennen-putin-will-revision-grenzen-europa.
21 Russland-Politik: Steinmeier zieht „bittere Bilanz“ - „Unter Putin keine Rückkehr zur Normalität“, Merkur.de, 5.04.2022, https://www.merkur.de/politik/steinmeier-ukraine-krieg-russland-politik-putin-bundespraesident-zr-91458445.html.
22 Kanzler Scholz: Nord Stream 2 ist "privatwirtschaftliches Vorhaben", NDR, 16.12.2021, https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Kanzler-Scholz-Nord-Stream-2-ist-privatwirtschaftliches-Vorhaben,kurzmeldungmv4452.html. Die Grünen forderten im Bundestagswahlkampf 2021 den Stopp von Nord Stream 2, weil sich das Projekt gegen die energie- und geostrategischen Interessen der Europäischen Union richte und die Stabilität der Ukraine gefährde.
23 Christian Bangel: Untersuchungsausschuss jetzt!, DIE ZEIT, 10.04.2022, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-04/russlandpolitik-gas-embargo-nord-stream-2-mecklenburg-vorpommern.
24 Jens Hovsgaard, zit. nach: Klaus Geiger: „Deutschland verhielt sich wie ein Ehebrecher und ging mit Putin fremd“, Die Welt, 10.04.2022, https://www.welt.de/politik/ausland/plus238045821/Nord-Stream-2-Deutschland-verhielt-sich-wie-ein-Ehebrecher-und-ging-mit-Putin-fremd.html.
25 Ebda.
26 Stefan Meister, zit. nach: Miriam Hollstein: „Merkel hat aus Opportunismus gehandelt“, t-online, Nachrichten für Deutschland, 05.04.2022, https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_91957906/kritik-an-merkel-die-grossen-irrtuemer-der-deutschen-russland-politik.html.
27 Marieluise Beck: "An Zynismus nicht zu überbieten": Grünen-Politikerin kritisiert Putins Kriegsbegründung, SWR1, 12.04.2022, https://www.swr.de/swr1/swr1leute/menschenrechtlerin-marieluise-beck-swr1leute-100.html.
28 Merkel hat mehr Gespräche mit Putin geführt als alle anderen Regierungschefs der Welt. Im Februar in Minsk 2015 verhandelte sie mit Putin zusammen mit François Hollande über 17 Stunden ohne Schlaf. Das sei die härteste Nacht seines Lebens gewesen, sagte Putin. Vgl. Ralph Bollmann: Angela Merkel. Die Kanzlerin und ihre Zeit, München 2021, S. 479.
29 Joachim Krause im Interview mit Christian Nagel: Politikwissenschaftler zu Ukraine: Deutschland hat Fehler gemacht, NDR, 25.02.2022, https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Politikwissenschaftler-zu-Ukraine-Deutschland-hat-Fehler-gemacht,krause414.html.
30 Miriam Hollstein: Ist der wichtigste Scholz-Berater "Putins Mann im Kanzleramt"? t-online. Nachrichten für Deutschland, 05.07.2022, https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_92346296/ist-putins-mann-im-kanzleramt-olaf-scholz-wichtigster-berater-.html.
31 Ebda.
32 Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 1998, S. 939.
33 Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, a.a.O., S. 940.
34 Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, a.a.O., S. 939.
35 Hannah Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken, München 1994, S. 231.
36 Jurij Andruchowytsch, zit. nach: Alexander Haneke: Krieg oder Sklaverei, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.03.2022, S. 2.
37 Anna Sauerbrey: Lieber aufgeben?, DIE ZEIT, 24.03.2022, S.1, siehe auch ZEIT ONLINE am 24.03.2022: https://www.zeit.de/2022/13/russland-angriffskrieg-ukraine-wladimir-putin.
38 Ebda.
39 Hannah Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken, München 1994, S. 228.
40 Hanna Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken, a.a.O., S. 229.
41 Götz Aly: Hitlers Volksstaat, Frankfurt am Main 2005, Klappentext.
42 Hannah Arendt: Die Ausrottung der Juden (19.6.1942). Aus: Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher. Beiträge für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung „Aufbau“ 1941-1945, Hrsg. von Marie Luise Knott, München 2000, S. 66f.
43 Hanna Arendt: Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken, a.a.O., S. 231.
44 Wolodymyr Selenskyj zit. nach: Selenskyj. Ein Präsident im Krieg: Film von Dirk Schneider und Claudia Nagel, Arte, 08.03.2022, https://www.phoenix.de/sendungen/dokumentationen/selenskyj---ein-praesident-im-krieg-a-2718368.html.
45 Armin Nassehi: Die Rückkehr des Feindes, DIE ZEIT, 25.02.2022, https://www.zeit.de/kultur/2022-02/demokratie-bedrohung-russland-ukraine-krieg-wladimir-putin.
46 Franklin D. Roosevelt, zit. bei: Elisabeth von Thadden: Wärme pumpen, DIE ZEIT, 24.03.2022, S. 49.
47 Alexej Nawalnyj: Wie Putin besiegt werden kann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.09.2022, https://m.faz.net/aktuell/1.8354401?GEPC=s5.
48 Ralf Fücks, Rainald Manthe: Skizze für einen neuen Liberalismus, DIE ZEIT, 25.06.2022.
Bruno Heidlberger ist Politikwissenschaftler, Studienrat für Politik, Philosophie und Geschichte mit Lehraufträgen an der TU Berlin, der MHB Brandenburg und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Derzeit arbeitet er an dem Buch "Mit Hannah Arendt Freiheit neu denken. Gefahren der Selbstzerstörung von Demokratien", das im Frühjahr 2023 im transcript Verlag erscheinen wird.
Das Fach Politikwissenschaft
SIRIUS: Analyse / Joachim Krause / 09.09.2022
An der Schwelle zum Dritten Weltkrieg – Welche Risiken darf der Westen im Ukraine-Krieg eingehen?
Die führenden westlichen Mächte USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland konditionierten derzeit das Ausmaß ihrer Unterstützungen für die Ukraine. Es gelte einen Weltkrieg mit nuklearer Eskalation zu vermeiden. Expert*innen beanstanden zunehmend diese Restriktionen, die sich an Konzepten der Rüstungskontrolle aus den 1960er-Jahren orientierten. Denn Russland verfüge nicht über die Mittel einer Eskalation – es sei denn, es wolle einen selbstmörderischen Nuklearkrieg beginnen. Joachim Krause hat dies für SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen analysiert.
SIRIUS: Analyse / Hugo von Essen, Andreas Umland / 09.09.2022
Russlands diktierter Nicht-Frieden im Donbas 2014-2022: Warum die Minsker Abkommen von Anbeginn zum Scheitern verurteilt waren
Die zwischen der Ukraine und Russland unter Vermittlung von OSZE, Deutschland und Frankreich abgeschlossenen Minsker Abkommen im September 2014 und Februar 2015 waren im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Auffassung keine Lösung des Konflikts. Andreas Umland und Hugo von Essen analysieren für SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, welche geo- und hegemonialpolitisch Zugeständnisse in den Abkommen bereits damals gegenüber dem Kreml gemacht worden sind.
SIRIUS: Buchbesprechung / Ulrich Blum / 09.09.2022
Christopher M. Smith: Ukraine’s Revolt, Russia’s Revenge
Christopher Smith, von 2012 bis 2014 Mitglied der US-Botschaft in Kiew, beschreibt in seinem 2016 verfassten Buch, einer Komposition aus Tagebuch und politischem Bericht, welche politischen Fehler des Westens bereits ab Anfang des letzten Jahrzehnts gemacht worden seien. So beispielsweise die fehlende Wahrnehmung der Anzeichen für eine Eskalation der Lage in absehbarer Zeit. Ulrich Blum hat das Buch für SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen besprochen.
Standpunkt / Andreas Umland / 28.09.2020
Die beiden Nord Stream-Projekte und die sogenannte „Ukraine-Krise“. Folgen für das russisch-ukrainische Verhältnis
Die weltweiten Rückwirkungen der Corona-Pandemie werden offenbar nicht nur ökonomischer Art sein, sondern auch eine sicherheitspolitische Dimension haben. Zu befürchten ist insbesondere, dass fragile Staaten, schwelende Konflikte und instabile Vereinbarungen wieder in Bewegung geraten und ohnehin angespannte Situationen neuerlich eskalieren. Dies gilt etwa für Länder in geopolitischen Grauzonen, die nur gering durch internationale Organisationen strukturiert sind. In Europa betrifft dies in erster Linie die Ukraine.
SIRIUS: Analyse / Hannes Adomeit / 01.10.2019
Müssen wir Russland besser verstehen lernen? Eine kritische Auseinandersetzung mit den Argumenten für eine neue Russlandpolitik
In jüngster Zeit mehren sich die Stimmen in Deutschland, die eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland verlangen. Begründet wird diese Forderung damit, dass Russland missverstanden werde. Die „Mainstream“-Medien bauten ein „Feindbild Russland“ auf. Seine ausgestreckte Hand werde zurückgewiesen. Hannes Adomeit beleuchtet die Kernargumente der Kritiker westlicher Russland-Forschung und -Politik.
Rezension / Max Lüggert / 20.02.2017
Dieter Gosewinkel: Schutz und Freiheit? Staatsbürgerschaft in Europa im 20. und 21. Jahrhundert
Für jedes politische Gemeinwesen stellt sich grundlegend die Frage nach der Zugehörigkeit. Bevor sich politische Institutionen, Angelpunkte staatlicher Gewalt und rechtliche Grundlagen wirksam materialisieren können, ist zu klären, welche Personen überhaupt als Mitglieder eines Gemeinwesens gelten. Dies geschieht seit der politischen Moderne meistens über die rechtliche Figur der Staatsbürgerschaft. Dieter Gosewinkel, der zu diesem Thema schon seit vielen Jahren forscht und publiziert, hat nun ein umfassendes Werk vorgelegt, in dem er die Entwicklung der Staatsbürgerschaft in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten rekonstruiert, wobei er sich im Besonderen auf die Situation in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Russland beziehungsweise der Sowjetunion konzentriert.
Rezension / Robert Chr. van Ooyen / 25.08.2016
Hannah Arendt / Eric Voegelin: Disput über den Totalitarismus. Texte und Briefe, hrsg. vom Hannah-Arendt-Institut in Zusammenarbeit mit dem Voegelin-Zentrum für Politik, Kultur und Religion der LMU München
Die Arbeiten von Hannah Arendt und Eric Voegelin zielten auf die politisch‑philosophische Erklärung des Totalitarismus als Phänomen der Moderne. Voegelin deutete in seinen „Politischen Religionen“ diesen als Verfallsphänomen durch gnostische Massenbewegungen, das schon mit dem „immanentistischen Sektenwesen“ seit dem Mittelalter begonnen und sich durch Aufklärung, Liberalismus und Positivismus verschärft habe. Arendt hielt demgegenüber einen entgrenzenden Weltverlust durch „Wurzellosigkeit“, Zerfall des Nationalstaats und „Atomisierung der Gesellschaft“ für ursächlich, der die Natur des Menschen als gemeinsam politisch handelnde Existenzen zerstört habe.
Rezension / Christian Heuser / 04.02.2016
Alexandra Popp: Hannah Arendt. Eine Denkbiografie
Arendt selbst sah sich nie als Philosophin, sondern als Vertreterin der politischen Theorie. So geht die Autorin, nach einer kurzen biografischen Einleitung, auf die zentralen Themenkomplexe ein, wobei die der Politik und Macht herausstechen, da die Erfahrungen mit dem (deutschen) Totalitarismus und der Auswanderung Arendts in die USA miteinbezogen werden. Dies führt in deren Theorie letztendlich zu einem stark ausgeprägtem und in der öffentlichen Sphäre verortetem Handlungsbegriff, der politische Teilnahme (nicht nur Teilhabe) einfordert sowie das übergeordnete Ziel politischen Handelns definiert: das aktive Streben nach Freisein.
Rezension / Lars Rensmann / 02.09.2009
Philipp zum Kolk: Hannah Arendt und Carl Schmitt. Ausnahme und Normalität – Staat und Politik
Spätestens seit Andreas Kalyvas’ „Politics of the Extraordinary“ (2008) ist die Debatte um Hannah Arendt und Carl Schmitt für gegenwärtige Theoriebildung fruchtbar gemacht worden. Denkt Schmitt Politik in Formen antagonistischer Homogenität, die sich gegen innere Pluralität richtet und sich unter anderem in der Bereitschaft zur physischen Gewalt darstelle, betont Arendt die universelle menschliche Pluralität, die erst politische Freiheit und politische Assoziation ermögliche.
Weiterführende Links
Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. an der TU Dresden (HAIT)
Forschung zu den Voraussetzungen und gesellschaftlichen Nachwirkungen des Totalitarismus als Herrschaftssystem in Nationalsozialismus und Kommunismus.
KRIEG IN DER UKRAINE – AKTUELLE LESEEMPFEHLUNGEN der Дekóder-Redaktion [Russland und Belarus entschlüsseln]
Hier sammelt Дekóder Analysen, Artikel und Hintergründe aus russischen, ukrainischen, belarussischen, deutschen und englischen Medien zum Krieg gegen die Ukraine.
Externe Veröffentlichungen
Amrita Narlikar / 30.09.2022
Bundeszentrale für politische Bildung
Florian Krampe / 30.09.2022
Bundeszentrale für politische Bildung
Konstantin Skorkin / 14.09.2022
Carnegie Endowment for International Peace
Denis Volkov, Andrei Kolesnikov / 07.09.2022
Carnegie Endowment for International Peace
Roger Berkowitz / 29.05.2022
Hannah Arendt Center for Politics and Humanities at Bard College (HAC Bard)
Roger Berkowitz / 24.04.2022
Hannah Arendt Center for Politics and Humanities at Bard College (HAC Bard)
Roger Berkowitz / 27.03.2022
Hannah Arendt Center for Politics and Humanities at Bard College (HAC Bard)
Matthias Kussmann / 26.10.2020
SWR2 Wissen
David Motadel / 03.02.2020
IPG-Journal
Michael Opitz / 18.01.2018
Deutschlandfunk Kultur
Thomas Meyer im Gespräch mit Jan Drees / 22.01.2018
Deutschlandfunk