Claudio Franzius / Franz C. Mayer / Jürgen Neyer (Hrsg.): Modelle des Parlamentarismus im 21. Jahrhundert
Welche Wege für den Parlamentarismus angesichts des Versuchs einer Transnationalisierung der Massendemokratie gangbar sein könnten, wird in dem von Claudio Franzius et al. publizierten Sammelband erörtert. Den Ausgangspunkt bildet dabei die historische Analyse von Hauke Brunkhorst. Er erinnert daran, dass Demokratie und Parlamentarismus nicht immer gemeinsam gedacht wurden und ursprünglich hinsichtlich ihrer Einforderung einer „Solidarität der Rechtsgenossen“ schon gar nicht „an die Form des modernen Nationalstaats gebunden“ (45) waren.
Demokratie und Parlamentarismus wurden nicht immer gemeinsam gedacht und waren ursprünglich hinsichtlich ihrer Einforderung einer „Solidarität der Rechtsgenossen“ schon gar nicht „an die Form des modernen Nationalstaats gebunden“ (45), erinnert Hauke Brunkhorst in seiner historischen Analyse. Dieser Rückblick, der die wissenschaftlichen Beiträge von Praktikern ebenso wie von Theoretikern eröffnet, bildet eine wichtige Grundlage für die nachfolgenden Texte. Denn er zeigt auf, welche Wege des Parlamentarismus einst aus welchen Gründen nicht weiter verfolgt wurden, jedoch heute – angesichts des Versuchs einer Transnationalisierung von parlamentarischer Massendemokratie – ein wertvoller, gangbarer Pfad sein könnten.
Nur kurz geht es in diesem Sammelband, der auf eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung im Januar 2014 zurückgeht, um die Nöte europäischer Parlamente in Zeiten vermehrt exekutivistischer Politik. Die Autoren sind sich des „Suchbildes Demokratie“ (158), wie es die ehemalige Verfassungsrichterin Lerke Osterloh nennt, durchaus bewusst und stimmen der einst von Hans-Jürgen Papier konstatierten schleichenden Entparlamentarisierung des politischen Prozesses zu. Ihr Fokus liegt jedoch auf einer alternativen Lesart, indem sie nach den neuen, vielleicht noch nicht wahrgenommenen Chancen suchen, die nationale Parlamente im Mehrebenensystem ergreifen könnten. Hierfür berichten die Wissenschaftler aus ihrer Forschung und die Praktiker von ihren Erfahrungen. Auf dieser Verschränkung der Expertisen beruht die Stärke des Sammelbandes, der nicht nach dem einen nachzuahmenden Modell fragt, sondern im historischen, internationalen, ja interparlamentarischen Vergleich nach neuen Wegen sucht. So bietet etwa die Politikwissenschaftlerin Marlene Wind einen Einblick in den Parlamentarismus skandinavischer Staaten, die kaum eine verfassungsrichterliche Kontrolle kennen. Sie erläutert diesen Spannungsbereich der Frage, wer in der Demokratie das letzte Wort hat, hinsichtlich einer auch durch den EuGH ausgelösten fortschreitenden Justizialisierung der Politik. Sven Vollrath wiederum, der den 2012 gegründeten Europadienst im Bundestag leitet, stellt dar, wie sich ein nationales Parlament an die Herausforderung Europa wagen und diese meistern kann. Sein Beispiel zeigt, dass nur eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung des parlamentarischen Dienstes die Gewähr dafür bietet, dass die Abgeordneten ihre Aufgabe der politischen Meinungsbildung tatsächlich wahrnehmen können.
Dieser budgetären Aufwertung des Parlaments muss eine ideelle vorangehen, die um den Wert der repräsentativen Demokratie weiß und diese verteidigt. Für solch eine Stärkung des Parlaments spricht sich auch Eva Högl, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, aus. Sie betont zudem die Wichtigkeit der interparlamentarischen Gremien für die Ausbildung einer europäischen Öffentlichkeit. Parlamente sollten etwa in der COSAC, der Konferenz der Europaausschüsse, noch effizienter zusammenarbeiten, um gemeinsam „mehr ‚Europäische Themen‘ zu besetzen, die sowohl die nationalen Parlamente als auch das Europäische Parlament betreffen“ (358). Die Antwort auf die Demokratiekrise und den Vertrauensverlust in repräsentative Institutionen liegt nämlich nicht im Ausbau plebiszitärer Elemente, sondern in der verantwortungsvollen Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben: eigenständig und transparent Entscheidungen zu treffen, die Tätigkeit der Regierung zu kontrollieren und die Bürgerinnen und Bürger am Meinungsbildungsprozess zu beteiligen. Mit dem Parlament gibt es ein Instrumentarium, das jeglichen unmittelbaren volksherrschaftlichen Vorstellungen überlegen ist. Nun gilt es, dieses vor allem an die transnationalen Entwicklungen anzupassen, um den steten Machtzuwachs der Exekutiven zu bremsen und schließlich rückgängig zu machen. Denn der Souveränitätskonflikt verläuft nicht zwischen der Europäischen Union und den Nationalstaaten, sondern zwischen den Regierungen und Parlamenten.
Das Fach Politikwissenschaft
Aus der Annotierten Bibliografie
Claudio Franzius / Franz C. Mayer / Jürgen Neyer (Hrsg.): Modelle des Parlamentarismus im 21. Jahrhundert
Welche Wege für den Parlamentarismus angesichts des Versuchs einer Transnationalisierung der Massendemokratie gangbar sein könnten, wird in dem von Claudio Franzius et al. publizierten Sammelband erörtert. Den Ausgangspunkt bildet dabei die historische Analyse von Hauke Brunkhorst. Er erinnert daran, dass Demokratie und Parlamentarismus nicht immer gemeinsam gedacht wurden und ursprünglich hinsichtlich ihrer Einforderung einer „Solidarität der Rechtsgenossen“ schon gar nicht „an die Form des modernen Nationalstaats gebunden“ (45) waren.