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Rezension / 22.05.2018

Rüdiger Frank: Unterwegs in Nordkorea. Eine Gratwanderung

München, DVA 2018

Nordkorea galt bis vor Kurzem noch als das größte Sicherheitsrisiko der Welt, das Land selbst aber kennt kaum jemand aus eigener Anschauung. Rüdiger Frank, Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens an der Universität Wien und einer der renommiertesten Nordkorea-Experten weltweit, vermittelt daher in diesem Vademecum für Reisende und diejenigen, die doch lieber zu Hause bleiben, einige Einblicke. Damit ergänzt er seine Analyse „Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates“. Angesichts der Schilderungen stellt sich, nicht zum ersten Mal, die Frage, wie leistungsfähig dieses arme Land in militärischer Hinsicht überhaupt sein kann.

Bis vor Kurzem galt Nordkorea noch als das größte Sicherheitsrisiko der Welt, doch seit einigen Wochen reibt man sich erleichtert und teils überrascht die Augen. Anfang Mai ließ es drei US-amerikanische Geiseln frei, kurz darauf erklärte US-Außenminister Mike Pompeo, sein Land müsse Nordkorea Sicherheitszusagen geben, um ein Abkommen über die Atomwaffen des Landes zu erreichen. Diese Gesten beiderseitigen guten Willens sollen wohl den Weg bereiten für das – zwischenzeitlich wieder infrage gestellte – Treffen von US-Präsident Donald Trump und dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un am 12. Juni 2018 in Singapur.

Wie der von Kim Jong-un eingeleitete Friedensprozess ausgehen wird, steht in den Sternen; möglicherweise wird dieses aktuelle Tauwetter dazu führen, dass sich einige Abenteuer-Reisende mehr nach Nordkorea aufmachen werden. Und an eben diese wendet sich Rüdiger Frank mit seinem neuen Buch, denn, so der Autor recht marktschreierisch: „Ohne solide Vorbereitung ist ein Besuch in Nordkorea nur die Hälfte wert, denn man weiß oft nicht, wonach man schauen soll oder was es eigentlich gerade zu sehen gibt“ (9). Aber Frank hat das Buch „auch für die vielen geschrieben, die sich zwar für das Land interessieren, aber eine Reise aus guten Gründen ausschließen“ (9). Und realistisch betrachtet richtet sich das Buch wohl sehr viel eher genau an diese Gruppe. Denn zuletzt reisten lediglich etwa 6.000 westliche Touristen pro Jahr nach Nordkorea. Bis Sommer 2017 waren knapp ein Viertel davon US-Amerikaner, diese dürfen seit dem damals verhängten Reiseverbot ihrer Regierung allerdings nicht mehr einreisen. Somit bleiben derzeit wohl maximal 4.000 westliche Touristen pro Jahr. Wie viele davon Deutsch und also Franks Buch lesen können, ist unklar – viele können es nicht sein.

Rüdiger Frank ist Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens an der Universität Wien und gilt als einer der renommiertesten Nordkorea-Experten weltweit. 1991/92 verbrachte er ein Sprachsemester an der Kim-Il-Sung-Universität in Pjöngjang und bereist seither das Land regelmäßig. Diese Reiseerfahrungen fasst er hier zusammen. Man erfährt ein bisschen über Repressionen und Überwachung, etwas mehr über das alltägliche Nordkorea und eine ganze Menge praktische Tipps zu Essen, Einkaufen, Unterkunft oder Sehenswürdigkeiten.
Es handelt sich also um einen Reiseführer und keine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Land. Diese liefert Frank in seinem 2014 erschienenen Buch „Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates“. Beide Bücher, darauf weist Frank hin, „bilden letztlich eine Einheit“ (11) und er wird im Laufe der rund 340 Seiten nicht müde, immer wieder auf die „Innenansichten“ zu verweisen.

Frank beginnt mit der moralischen Dimension einer möglichen Nordkorea-Reise und wirft die Frage auf: „Kann, darf und sollte man nach Nordkorea reisen?“ (18) Wenig überraschend kommt er zu dem Schluss, dass es auf diese Frage keine eindeutige Antwort gibt und die Entscheidung immer persönlich bleibt. Für westliche Touristen gleiche eine Reise nach Nordkorea häufig „einem Besuch im Menschenzoo“ (16). Diejenigen, die hinfahren, unterstützen mit ihren Devisen das herrschende Regime, andererseits „sorgt man mit den ins Land gebrachten Devisen dafür, dass im Inland eine Nachfrage entsteht“ (19). Schließlich, und da kann der Rezensent, der einmal eine Woche in der Hauptstadt Pjöngjang war, Frank nur zustimmen, weiß man nach der Rückkehr „manche für selbstverständlich gehaltenen und kaum noch wahrgenommen Dinge wieder zu schätzen“ (15).

Wer sich für eine Reise entscheidet, sollte bedenken, dass man in Nordkorea nicht frei reisen, sich nicht einmal frei bewegen kann und die Gruppe, in der man unterwegs ist, immer von zwei Aufpassern begleitet wird.

Im zweiten Kapitel beschreibt Frank die Einreise-Modalitäten. Er erklärt, wie man ein Visum bekommt – über Agenturen, die als Vermittler zu nordkoreanischen Reisebüros agieren; dass man als Tourist das Reiseprogramm nicht frei zusammenstellen kann; dass man immer über China einreisen muss; wann die beste Reisezeit ist – wenn man das schöne Nordkorea sehen will, bleibt man im Winter daheim, wenn es eine politische Bildungsreise werden soll, dann fährt man zu einem der großen Feiertage; und was eine Reise kostet – mindestens 1.500 Euro Reisekosten für eine Woche plus rund 300 Euro vor Ort, „wenn man sein Kaufverhalten weitgehend im Griff hat“ (49).

Anschließend erklärt der Autor landestypische Eigenheiten in Hinblick auf Kommunikation und Medien. Neben den aus zahlreichen Medien bekannten Ausführungen zum Internet, welches in Nordkorea weitgehend ein nationales Intranet ist, erklärt er die „heikle Kunst des Fotografierens“ (63). Während theoretisch beinahe alles irgendwie verboten ist, ist die Praxis nicht ganz so rigide, wenn man denn Franks Hinweisen folgt. So müssen Bilder und Statuten der Mitglieder der Herrscherfamilie Kim immer in voller Größe aufgenommen werden, ohne Teile davon abzuschneiden. Ebenso sollte man auf lustige Einlagen wie Luftsprünge oder Handstände verzichten, „vor allem vor Bildnissen dieser mit nahezu religiöser Andacht verehrten Herrschaften“, das sind „nationale Symbole, hier verstehen die Nordkoreaner keinen Spaß“ (64).

Weiterhin erfährt man bei Frank recht viel über Unterkünfte und deren Sanitäranlagen, die „unseren Standards“ entsprechen, „es handelt sich also um WCs zum Hinsetzen“ (98). Strom ist mal da und mal weg, und beim Thema Heizung gibt es in vielen Hotels nur zwei Stufen: „kochend heiß oder eisig kalt“ (102).

Hin und wieder, wie im Kapitel über Essen und Trinken, erfährt man etwas über die koreanische Gesellschaft, die „zweigeteilt“ ist. Eine Gruppe ist „wohlhabend genug, um sich ein Leben jenseits von grundlegenden Sorgen um Ernährung, Wohnen, Heizung und Kleidung zu leisten“, die andere Gruppe beschreibt Frank unter anderem anhand einer Frau, „die von einem Lastwagen gefallene Maiskörner vom schlammigen Boden aufsammelte“ (116).

Im zweiten Teil werden zahlreiche Reiseziele in Nordkorea in mehreren Kapiteln vorgestellt. So beschreibt Frank West-Pjöngjang als das Zentrum der Macht und skizziert, dass Ost-Pjöngjang von Monumenten geprägt ist, aber auch der Ort für Entertainment wie „Eislaufhallen, Spaßbäder und Kinos“ (246).

Dass Frank damit die gängigen Klischees vom Schurkenstaat unterläuft, ist beabsichtigt. Insgesamt geht es ihm um ein differenziertes Bild, was ihm Kritiker durchaus als Einseitigkeit auslegen können und es mitunter auch tun.

Wenn man sich darauf einlässt, dann findet man in diesem Reiseführer durchaus einige interessante Einsichten zu Nordkorea. Und dennoch bleibt man als Leser etwas verstimmt zurück. Einerseits hat das Buch doch ziemliche Längen und man fragt sich, ob Hotels in Provinzstädten, die zahllosen Monumente oder die in Berlin ausrangierten U-Bahnen, die nun durch die nordkoreanische Hauptstadt fahren, wirklich so ausführlich beschrieben werden müssen.

Dessen ist sich Frank wohl bewusst, denn das zehnte von 14 Kapiteln beginnt so: „Wen schon das Lesen all dieser kurzen Beschreibungen der Sehenswürdigkeiten von Pjöngjang ermüdet…“ (261). Und wenn man sich noch einmal in Erinnerung ruft, dass wohl die meisten Leserinnen und Leser eben nicht nach Nordkorea fahren werden, dann wäre etwas mehr Mut zur Lücke nicht schlecht gewesen.

Ein weiterer Wehrmutstropfen, zumindest für diesen Rezensenten, ist die etwas deplatziert wirkende Ich-Bezogenheit des Autors. Zu Beginn weist er darauf hin, dass er „seit einiger Zeit […] ein bis zweimal im Jahr westliche Reisegruppen“ (11) nach Nordkorea begleitet und mitunter liest sich das Buch wie die etwas arg plumpe Werbung für eine solche Reise, die ohne die Begleitung des Experten Frank, so die zwischen den Zeilen mitschwingende Botschaft, nur halb so interessant wäre. Sein Expertenstatus steht ganz außer Zweifel, aber gerade deshalb hätte dem Buch etwas weniger „ich“, „meine“ oder „mir“ gutgetan.

CC-BY-NC-SA
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