Skip to main content
Kongressbericht / 07.10.2024

Schlaglichter vom DVPW-Kongress 2024: Politische Bildung

Vom 24. bis zum 27. September 2024 fand an der Universität Göttingen unter dem Titel „Politik in der Polykrise” der Kongress der der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) statt. Aufgrund der Menge an Inhalten können wir die vier Kongresstage nicht in ihrer Gesamtheit abbilden. Stattdessen veröffentlichen wir kurze Panelberichte unterschiedlicher Autor*innen als „Schlaglichter“, um das Kongressgeschehen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. In diesem Beitrag berichten Michael Kolkmann (Universität Halle-Wittenberg) und Kira Renée Kurz (Universität Freiburg) über zwei Panels zum Thema politische Bildung.

“... und deshalb politische Bildung!?“ - Was Politikwissenschaft und Bildungspraxis in der Demokratie leisten können

Ein Schlaglicht von Michael Kolkmann

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland vor allem als Demokratiewissenschaft ihren Durchbruch erlebt. Nach der Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Republik und ihrer Verfassungsordnung sollte dem neuen bundesdeutschen Grundgesetz ein solches Schicksal erspart bleiben. Den verantwortlichen Akteuren war klar, dass es dazu einer umfassenden und grundlegenden politischen Bildung der Bürger*innen bedurfte. Und so sollte die Verfassung - nicht zuletzt an den Universitäten und Hochschulen - durch das neu etablierte Fach Politikwissenschaft erläutert und erklärt werden, um so eine Art politisches Grundvertrauen in das durch das Grundgesetz geschaffene neue politische System zu schaffen.

Auf dem Panel „‘... und deshalb politische Bildung!?‘ - Was Politikwissenschaft und Bildungspraxis in der Demokratie leisten können“ stand daher genau diese enge Verbindung von Politikwissenschaft und politischer Bildung im Fokus. Moderiert wurde die Veranstaltung von Simon Franzmann (Universität Göttingen). Als Diskutanten, die keine Vorträge oder Paper erläuterten, sondern gleich in die Diskussion einstiegen, fungierten Andrea Szukala (Universität Augsburg), Marc Partetzke (Universität Hildesheim), Anna-Sophie Heinze (Universität Trier), Sigrid Roßteutscher (Universität Frankfurt), Marcel Lewandowsky (Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg) sowie Manès Weisskircher (TU Dresden).

Schnell wurde klar, dass es unumgänglich ist, zunächst zu klären, was genau unter dem Begriff „politische Bildung“ zu verstehen ist und wo man als Wissenschaftler*in diesbezüglich ansetzen kann. Denn wo ist das Thema zwischen der Fachdidaktik und der Fachwissenschaft (als „zwei unterschiedlichen Logiken“) zu verorten? Hinzu kommt, dass die Auseinandersetzung mit politischer Bildung an den einzelnen politikwissenschaftlichen Instituten ganz unterschiedlich verankert ist. Mehrere Diskutant*innen betonten, dass politische Bildung nicht nur als Reparaturbeitrag (genannt wurden das „Hinterherräumen“ oder die „Feuerlöscherrolle“) verstanden werden dürfe. So erklinge der Ruf nach mehr politischer Bildung stets nach entsprechend einschlägigen Wahlergebnissen oder politischen Krisen. Grundsätzlich müsse politische Bildung jedoch im Kontext längerfristiger politischer und gesellschaftlicher Megatrends wie der Individualisierung sowie der Schwächung politischer Parteien, Kirchen und Gewerkschaften gedacht werden.

Diskutiert wurde auch der Vorschlag, die politische Bildung beziehungsweise Didaktik nicht exklusiv dem Teilbereich „Politische Bildung“ der universitären Politikwissenschaft zu überlassen, sondern sie als eine Art Querschnittsthema in jeden anderen inhaltlichen Lehrbereich einzubringen. Dabei müssten aber auch ganz praktische Fragen geklärt werden, etwa im Hinblick auf die Vergabe von ECTS-Punkten. Ebenfalls aufgeworfen wurde der Vorschlag, den schulischen Bereich der politischen Bildung nicht nur auf die Schule (als Ort der „Erfahrung von Selbstwirksamkeit“) selbst zu fokussieren, sondern auch das Elternhaus mit einzubeziehen (als Ermöglichung einer „konkreten Erfahrung von Demokratie“). Auch abseits der schulischen und Erwachsenenbildung wurden „Bedarfe politischer Bedarfe“ konstatiert, etwa in Parteien oder Medienorganisationen. Als eine wichtige Frage kristallisierte sich heraus, wie man womöglich diejenigen erreicht, die mit der bisherigen Form politischer Bildung nicht in Berührung kommen beziehungsweise gekommen sind. Auch die stärkere Verbindung von klassischer Institutionenkunde (die Gewaltenteilung und der Gesetzgebungsprozess, um nur zwei Beispiele zu nennen) mit dem persönlichen Erleben scheint angebracht zu sein. Deutlich wurde in der Diskussion auch, welche Arbeitsfelder zukünftig im Kontext von Demokratie und politischer Bildung im Fokus stehen sollten.

Das Panel bot die Gelegenheit, im kritischen Diskurs vieles zu hinterfragen, womit sich die Anwesenden (das Publikum eingeschlossen) seit Jahr und Tag beschäftigen. Vielleicht sind einige der aufgeworfenen Fragen nicht endgültig beantwortet worden, aber der produktive Austausch der Vertreter*innen auf dem Podium sowie die Diskussion mit den dem Publikum zeigte, dass es sich lohnt, an diesen Fragen dranzubleiben und sie auch in Zukunft in den Mittelpunkt eines fruchtbaren Austausches zwischen Fachdidaktik und Fachwissenschaft zu stellen.


Demokratiebildung – Potenziale, Grenzen, Perspektiven

Ein Schlaglicht von Kira Renée Kurz

Ein Panel voller großer Fragen: Was bedeutet Neutralität in der politischen Bildung? Wie wichtig ist Kontroversität und was sollte als kontrovers präsentiert werden? Wie lässt sich im heutigen digitalen Zeitalter die Medienkompetenz steigern? Im Hintergrund natürlich die immer präsente Frage nach der Rolle und der Verantwortung unserer Disziplin. Das Panel der Sektion „Politikwissenschaft und Politische Bildung“ hatte einen großen „Elephant in the room“, wie Frank Reichelt (Universität Hong Kong) es ausdrückte: der Zuwachs der AfD in jungen Wählergruppen. Und damit wird die Relevanz der Thematik praktischerweise auch direkt deutlich.

Das Panel begann mit einer Vorstellung der Ergebnisse der International Civic and Citizenship Education Study (ICCS 2022) durch Herman Josef Abs (Universität Duisburg-Essen), der unter anderem auf das Spannungsfeld von Fachwissen und konzeptionellen Wissen einging und auch die Brücke zum Thema Polykrise schlug: Ein Krisenphänomen in der schulischen politischen Bildung sei sicherlich der Umfang fachfremd erbrachten Unterrichts aufgrund fehlender Politiklehrer*innen.

Es folgte ein Vortrag von Elizaveta Firsova-Eckert (Universität Hannover) über eine Evaluationsstudie zur Wirkung des Demokratieerlasses auf die Unterrichtsentwicklung in Niedersachsen. Die erste Erhebungswelle zeige bereits, dass Kenntnisse zum Erlass und die Unterrichtspraxis positiv zusammenhängen – diese Kenntnisse allerdings rar gesät seien. Im dritten Vortrag ging Marcus Kindlinger (Universität Münster) auf das bereits erwähnte Kontroversitätsgebot ein und widmete sich unter anderem den Fragen, was denn eigentlich ein politisch oder wissenschaftlich kontroverses Thema sei und wie man Lehrkräfte im Umgang mit solchen Themen unterstützen könne.

Johanna Leunig und Valeriia Hulkovych (Universität Göttingen) stellten Erkenntnisse zur Wirkung von Bildung vermittelnden „serious games“ auf die Medienkompetenz von Jugendlichen vor. Generell kämen diese Spiele bei den Schüler*innen gut an und zwar insbesondere bei denjenigen, die gerne „zocken“ (oder anders gesagt, eine hohe „Computerspielaffinität“ besäßen).

Abschließend blickte Helle Becker (Transfer für Bildung e.V) auf die außerschulische politische Bildung und wies auf Probleme hin, die sich aus der Parallelität von Forschungsfeldern in der Politikwissenschaft, sozialen Arbeit, Erziehungswissenschaft und Politikdidaktik ergeben würden. Hier sei aus ihrer Sicht mehr Austausch wünschenswert, eine Forderung, der auch ich mich uneingeschränkt anschließen kann.

CC-BY-NC-SA
Neueste Beiträge aus
Das Fach Politikwissenschaft

Weiterführende Links

„Politik in der Polykrise“

Webseite des 29. Wissenschaftlichen Kongresses der DVPW an der Georg-August-Universität in Göttingen

 

Mehr zum Themenfeld Das Fach Politikwissenschaft